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Und täglich grüßt die Wissenschaft
01.11.2007

Wem die Stunde schlägt

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Welttheater
ist mit der Kugellaufuhr des Herzog Anton Ulrich-Museums ein mechanisches Spiel auf Zeit.

Glosse

Der Goldschmied Cardillac war derart in Leidenschaft zu seinen Werken entbrannt, dass er sie nur mit Widerwillen hergab. Wenn er es doch einmal tat, musste der Käufer die spätere Rückholaktion nicht selten mit seinem Leben bezahlen.
Von diesem künstlerischen Narziss konnte der Braunschweiger Uhrmachermeister Ulrich Heintze, bestallt am herzoglichen Hof von Heinrich Julius, im Jahre 1600 noch nichts wissen. Und doch muss er ähnliche Freveleien befürchtet haben, als er bei einem Aufenthalt in Kassel seine Frau brieflich instruierte, dem Uhrmacher Christoph Rohr dergestalt auf die Finger zu schauen, dass er "das Gerät nicht heimlich aus dem Hause bringe". Rohr war Leipziger und arbeitete in Heintzes Werkstatt gerade am Nachbau einer hochkomplizierten Konstruktion, der nicht lange zuvor erfundenen Kugellaufuhr, dem "Gerät".
Ehelichen Scharfaugen ist es vielleicht zu verdanken, dass die Uhr heute im Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig zu bestaunen ist, zumal sie kein Auftragswerk war, sondern quasi auf eigene Rechnung entstand, wie Alfred Walz, Kunsthistoriker am Museum, nachweisen konnte.
Nach etlichen Restaurierungen, der letzte Lauf ist auf Film gebannt, schiebt das unbezahlbare Prunkstück inzwischen eine ruhige Kugel. Doch Vorsicht! Wer jetzt auf dumme Gedanken kommt, spielt Russisch Roulette. (rei)



Fakten

Fast ein Perpetuum mobile

".alleß dar ahn vergult ist, undt nichts mehr dran zu donde ist, d(aß) sie derneben thut waß sie thun soll, vndt achte thage gelauffen hatt." In diesen Zeilen, die der Uhrmachermeister Ulrich Heintze am 15. Juni 1600 an seine Frau nach Braunschweig schreibt, klingt schon ein gewisser Zweifel an, der sich nachfolgend als nicht ganz unberechtigt erweisen sollte. Was da "achte thage" sozusagen zur Probe laufen sollte, war die Nachahmung einer komplizierten, jüngst erfundenen technischen Neuerung, der Kugellaufuhr. Auch scheint der Meister, der sich gerade in Kassel aufhielt, in seinen Gast, den Leipziger Uhrmacher Christoph Rohr, nicht allzu viel Vertrauen gesetzt zu haben im Hinblick auf die Funktionstüchtigkeit des Geräts. Heintze war bestallter Uhrmacher am Hof des Braunschweiger Herzogs Heinrich Julius, und es war nicht unüblich, auswärtigen Berufsgenossen die eigene Werkstatt zur Verfügung zu stellen. Dass er in einem weiteren Brief anordnete, im Falle des Scheiterns Rohr nicht nur das unvollendete Werk wegzunehmen, sondern auch die Nahrung zu verweigern, war wohl dem bis dato schon hohen finanziellen und personellen Aufwand geschuldet. Wer heute die exquisite Uhrensammlung des Herzog Anton Ulrich-Museums in Braunschweig betritt, wird die erwähnten Befürchtungen kaum nachvollziehen können. Golden schimmernd thront die Kugellaufuhr wie ein biblischer Turm in der Mitte des Raumes. Auffallend die diversen Zifferblätter im Sockelgehäuse, die spiralförmige Rinne am pyramidalen Mittelteil, für deren Durchlauf die Kugel im Idealfall eine Minute braucht, worauf sie beim Wiedereintritt ins Gehäuse das Laufwerk auslöst, mit dessen Kraft sie wieder nach oben transportiert wird. An der Spitze der Uhr ein sich drehender Ring mit zeitgenössischen Soldatenfiguren, von einem Baldachin gekrönt, darunter kündigt ein türkischer Trommler die vollen neunten, zehnten, elften und zwölften Stunden an. Das gesamte Gehäuse, das auf vier Löwenfüßen steht, ist mit einer Vielzahl von Ornamenten verziert. Alfred Walz, Kunsthistoriker am Museum, hat in einem äußerst instruktiven Text alle Fakten über die Kugellaufuhr zusammengetragen, wobei er ganz nebenbei mit der Vermutung aufräumt, sie sei ein Auftragswerk, möglicherweise sogar ein herzogliches, gewesen. Anschaulich kann er zeigen, dass erst nach Fertigstellung der Uhr, die bekanntlich unter widrigen Umständen vonstatten ging, an eine Käufersuche gedacht war. Eine kleine Unvollkommenheit des Kunstwerks, wie Meister Heintze schon ahnte, ist allerdings nicht zu leugnen: die fehlerbehaftete Funktionsweise, von mangelnder Ganggenauigkeit einmal ganz abgesehen, was auch die zahlreichen Restaurierungen und Reparaturen belegen. Als im Jahr 1998 Werke und Gehäuse letztmals renoviert wurden, nahm man dies zum Anlass, die komplette Uhr mitsamt Kugellauf eindrucksvoll auf Film zu dokumentieren. (rei)



Kontaktinformationen

Name: Dr. Alfred Walz
Institution: Herzog Anton Ulrich-Museum
Adresse: Museumstr. 1
38100 Braunschweig
Telefon: 0531/1225-0
WWW: http://www.museum-braunschweig.de
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