2003-09-15 | Geburtstag Ina Seidels (1885-1974)
Die Werke der Dichterin Ina Seidel stehen in der Tradition der deutschen Bürgerfamilie, die wesentlich vom Protestantismus geprägt ist. Ihre mystisch-religiöse Grundhaltung, die ihnen etwas Überzeitliches verleiht, trägt dazu bei, dass sie heute zwar nicht populär sind, aber immer noch gelesen werden.

Geboren wurde Ina Seidel am 15. September 1885 in Halle an der Saale. Ihr Vater, Hermann, stammte aus dem Sächsischen und war Arzt, die Mutter, Emmy, war eine geborene Loesewitz aus Riga. Schon kurze Zeit nach der Geburt zog die Familie nach Braunschweig. Der Vater, bislang Assistent, machte sich als Chirurg selbständig. Ab 1894 war er Leiter des herzoglichen Krankenhauses. 1887 wurde der Bruder Willy geboren, der ebenfalls als Schriftsteller auf sich aufmerksam machte.

1895 kam die Schwester Annemarie hinzu, die früh Erfolg als Schauspielerin hatte und später in 2. Ehe mit dem Verleger Peter Suhrkamp verheiratet war. Im selben Jahr wurde eine durch Intrigen ausgelöste Verleumdungskampagne gegen den Vater geführt, die ihn in den Selbstmord trieb. Die Mutter siedelte mit den Kindern nach Marburg/Lahn um, 1897 schließlich nach München, wo Ina Seidel bis 1907 lebte. München war in jenen Jahren das künstlerische Zentrum Deutschlands, und in dieser Atmosphäre bildete sich Seidels literarisches Handwerk heraus.

1907 heiratete sie ihren Vetter Heinrich Wolfgang Seidel, einen Berliner Pfarrer und Verfasser erzählender und geistlicher Literatur. 1908 wird die älteste Tochter geboren. Als Folge der Entbindung erkrankte Ina Seidel an einer Wochenbettinfektion und behielt durch weitere Komplikationen ein verkürztes und versteiftes Bein zurück. Diese Behinderung gab ihr den Anstoß zum ernsthaften Schreiben.

1914/15 erscheinen ihre ersten beiden Lyrikbände, drei Jahre später der dritte („Weltinnigkeit“). 1922, ihr Ehemann hatte inzwischen eine Pfarrstelle in Eberswalde angenommen, veröffentlichte sie ihren ersten großen Roman „Das Labyrinth“, eine Lebensbeschreibung des Naturforschers Georg Forster. Nach verschiedenen Erzähl- und Novellenbänden erscheint 1930 ihr bis heute erfolgreichstes Buch („Das Wunschkind“). Im Mittelpunkt des Romans steht die mythisierte Mutterschaft der Protagonistin und die Beziehung zu ihrem Sohn vor dem Hintergrund der Zeit zwischen der Französischen Revolution und den Freiheitskriegen. Ein weiterer biographisch-historisch ausgerichteter Roman („Lennacker“) erscheint 1938.

Seidels religiös-verklärende Weltsicht und ihr Festhalten an völkischen Idealen machten es ihr unmöglich, sich entschieden, wie etwa Ricarda Huch, von der nationalsozialistischen Ideologie zu distanzieren. So schrieb sie ein berüchtigtes Preislied anlässlich des 50. Geburtstags von Adolf Hitler im Jahr 1939. Auch ihre alles andere als emanzipatorischen Frauendarstellungen kamen den Nazis entgegen. Seit 1934 lebte Ina Seidel am Starnberger See, da ihr Mann aus Protest gegen die Politisierung der Kirche sein Pfarramt niedergelegt hatte. Den Tod des geliebten Bruders Willy im selben Jahr verarbeitet sie in der Erzählung „Peregrin“ (1940), in der wiederum romantisch-idealisierende Elemente vorherrschen.

1944 entstehen Biographien über Achim von Arnim, Bettina von Arnim und Clemens Brentano. Nach 1945 scheint sich ihr Werk ohne größere Brüche fortzusetzen, sie bleibt der Naturmystik und ihrem neoromantischen Stil treu, wie etwa in dem Roman „Michaela. Die Aufzeichnungen des Jürgen Brook“ (1956), der immerhin die aktuelle Zeitgeschichte reflektiert. 1949 erhielt Ina Seidel den Raabe-Preis der Stadt Braunschweig, 1954 das Bundesverdienstkreuz und 1958 den großen Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen. In den folgenden Jahren erscheinen noch Bände mit Berichten und Erzählungen sowie literaturtheoretische Abhandlungen. Am 2. Oktober 1974 stirbt Ina Seidel in Ebenhausen bei München im Alter von 89 Jahren.

Zitat:
„Eigentlich muss ich mich München und Berlin ebenso verwurzelt fühlen wie Braunschweig, der Stadt meiner Kindheit. [...] Vom sechsten Monat meines Lebens an habe ich zehn glückliche Kindheitsjahre dort zubringen dürfen, und alle Erinnerungen an meinen früh verstorbenen Vater sind mit dem Zauberkreis dieser alten Stadt verwoben. Sie steht mir vor Augen, als sei dort niemals schlechtes Wetter gewesen.“