2003-04-24 | Die Schöninger Speere
Am Rande des Braunkohlentagebaus von Schöningen, Landkreis Helmstedt, wurden im Rahmen eines Forschungsprojektes des Landesamtes für Denkmalpflege unter Leitung von Dr. Hartmut Thieme seit 1995 sieben Wurfspeere mit einem vorläufigen Alter von ca. 400.000 Jahren entdeckt - eine Weltsensation!

Ausgrabungsstätte am Rande des Braunkohlentagebaus
Ausgrabungsstätte am Rande des Braunkohlentagebaus
Mit diesem beeindruckenden Fund wurde der defintive Nachweis erbracht, dass nicht erst der moderne Mensch (Homo sapiens sapiens), sondern bereits seine lange Zeit als "primitive Aasfresser" geltenden Vorfahren spezialisierte Großwildjäger gewesen sind, die über bislang nicht für möglich gehaltenes technisches Know-how verfügten. Wurfversuche am Institut für Sport und Sportwissenschaft der Universität Heidelberg mit Replikaten der Schöninger Speere belegen eine hervorragende Flugtauglichkeit, die den Vergleich mit modernen Wettkampfspeeren nicht scheuen muss.

Die Vergesellschaftung der Schöninger Speere mit mehreren tausend mit Steingeräten bearbeiteten Knochen u. a. vom Wildpferd (darunter über 20 komplette Schädel), Wildesel, Rothirsch und Wisent vermittelt ein detailliertes Bild von der kulturellen Entwicklung und den spezifischen Lebensumständen unserer europäischen Urahnen.

Wurfspeer
Ausgezeichnete Erhaltungsbedingungen für organisches Material (Flora und Fauna) sind auch für zwei benachbarte, mittlerweile abgebaggerte altsteinzeitliche Fundplätze kennzeichnend. Hier wurden neben verschiedenen Großsäugerknochen u. a. vom Waldelefant, Waldnashorn, Wildpferd, Bär und Auerochse auch zahlreiche Kleintierreste geborgen, darunter sogar Amphibien, Reptilien, Vögel und Fische. Weitere Funde sind zu erwarten.

Die Einbindung dieser vielfältigen ökologisch-kulturellen Zeugnisse in die am Ort belegte, außergewöhnlich vollständige jüngere Quartärstratigraphie (Schichtabfolge des Eiszeitalters) erlaubt eine völlig neue Sicht auf 0,5 Millionen Jahre Menschheits-, Klima- und Landschaftsgeschichte in Mitteleuropa. Eine einmalige Chance - doch der dringend erforderliche Fortgang der Grabung ist derzeit - immer noch - ebenso wenig gesichert wie deren interdisziplinäre Auswertung.

Der Landkreis Helmstedt, die Stadt Schöningen und der Förderverein Schöninger Speere - Erbe der Menschheit e. V. sind von der Zukunft der Vergangenheit überzeugt und möchten diese vor Ort nachhaltig entwickeln. In einem interaktiven Forschungs- und Erlebniscenter im Bereich des in wenigen Jahren ausgekohlten Tagebaus Schöningen soll dem komplexen Phänomen Mensch und Umwelt und dem dynamischen Wandel von Kultur-Landschaft über die Jahrtausende von der Steinzeit bis ins Informationszeitalter nachgespürt werden.

Nähere Informationen unter www.erbedermenschheit.de.