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Dr. Stephan A. Lütgert M. A.
Projekt- und Vereinsmanagement Förderverein Schöninger Speere
Projekt- und Vereinsmanagement Förderverein Schöninger Speere - Erbe der Menschheit e. V. Stadt Schöningen
Die Schöninger Speere
Es war ein aufregender, bewegender Moment, als am Nachmittag des 20. Oktober 1994 der Grabungsmitarbeiter Hans Schwarz im Planquadrat x 684/y 31 plötzlich und unerwartet auf ein offenkundig bearbeitetes, hervorragend erhaltenes Stück Holz stieß...
Bereits Wochen zuvor war den Archäologen des Landesamtes für Denkmalpflege unter Leitung von Dr. Hartmut Thieme, die seit 1983 in einem siedlungsarchäologischen Langzeit-Forschungsprojekt die Erschließung des Tagebaus Schöningen begleiten, in der frisch angeschnittenen Abbauwand mehrere Meter unter der Geländeoberfläche eine Ansammlung von Großsäugerknochen, überwiegend vom Wildpferd, aufgefallen.
Ein umgehend angelegter Suchschnitt förderte eine Anzahl von Steingeräten zutage, die darauf hindeuteten, dass es sich um einen Fundplatz aus der Zeit des Urmenschen handelte. Aufgrund der kontinuierlichen Beobachtung und Dokumentation der geologischen Schichtfolge war ein Alter des fundführenden Horizontes von mehreren hundertausend Jahren anzunehmen.
Wie sich bei der nachfolgenden Präparation herausstellte, handelte es sich bei dem Holzobjekt um einen 78 cm langen, beidseitig angespitzen und entrindeten Holzstab, der aufgrund ethnographischer Parallelen als Wurfholz interpretiert wird. Dieser Fund mit einem Alter von ca. 400.000 Jahren ist weltweit ohne Parallele! Als die Tragweite der archäologischen Entdeckung bewusst wurde, konnte beim Tagebaubetreiber, der BKB AG, eine Verlängerung der Grabungsfrist, zunächst bis 1997, erwirkt werden.
Wie richtig und vorausschauend diese Entscheidung gewesen ist, stellte sich bereits kurze Zeit später heraus, als unweit der Fundstelle des Wurfholzes ein zweites, mit 2,25 m sehr viel längeres Holzobjekt geborgen werden konnte, das sich aufgrund spezifischer Merkmale als Wurfspeer erwies.
Damit war endlich der Nachweis gelungen, dass bereits der europäische Urmensch (Homoheidelbergensis) ein spezialisierter Großwildjäger gewesen ist, der mit ausgeklügelten Distanzwaffen ausgerüstet war. Diese Fähigkeit war ihm von vielen, international anerkannten Forschern lange Zeit abgesprochen worden.
Bis Ende der 1990-er Jahre wurden auf dem Fundplatz noch sechs weitere Speere gefunden.
Die Ausgrabungen der von Austrocknung akut bedrohten Fundstelle und deren interdisziplinäre Auswertung müssen in den kommenden Jahren entschieden vorangetrieben werden, ansonsten ist der unwiederbringliche Verlust eines Kulturerbes von Weltrang nicht mehr zu verhindern.
Der dauerhafte Erhalt des Geländesockels ist mittlerweile durch die BKB AG gesichert.
Bildquelle: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege in Hannover (Foto: C. S. Fuchs)
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