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Bevor
das Rosental 1882 behördlicherseits zu seinem idyllischen Namen
kam, diente es vergleichsweise martialischen Aufgaben. Hier erhob
sich bis zu ihrer Schleifung um 1800 eine halbmondförmige Vorschanze,
die dem Hauptwall der Stadtbefestigung vorgelagert war. Später
dann, in bürgerlich-biedermeierlichen Zeiten, nahm ihren Platz
eine Gastwirtschaft ein, genannt "Böwig's Etablissement",
welches mancherlei Lustbarkeiten, wie Operetten und volkstümliche
Theaterstücke bot und ein beliebtes Ausflugsziel war. |
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Der Baumeister der gusseisernen Hängebrücke, die das eine
Ufer der Oker mit dem anderen über 35 Meter hinweg verbindet,
wusste recht subtil die Geschichte des Ortes mit dem modernen Geist
ihres Errichtungsjahres 1880 zu vereinbaren. Die freitragende Brücke,
die stolz mit dem Eisernen Steg in Frankfurt verglichen wurde, war
eine Errungenschaft neuzeitlicher Technik, während die trutzig
aufgemauerten Backsteinportale des Bauwerks Reminiszenzen an die längst
ver-schwundenen Festungsanlagen wecken, auch wenn ihr Erscheinungsbild
eher die Spielfreude eines Kindes dieser Zeit vermittelt, das sich
mit seinem Anker-Steinbaukasten in historischer Kulissenschieberei
übt. |
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Yvonne
Goulbier fügt nun der liebenswürdigen kleinen Fußgängerpassage
den poetischen Widerschein eines verwunschenen Gartens hinzu, der
die Anlage mit einem imaginären Rosenteppich überwuchert.
Auch ihre Technik, die komplizierte und aufwendige Projektion zahlloser
Blüten, die aus dem Nichts zu kommen scheinen und sich im Raum
verteilen, spiegelt zeitgenössischen Erfindergeist in der Imagination
virtueller Welten, die uns heute so vertraut sind.
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Das
Bild der Rosen, klar und kompakt in der Mitte des Steges, langgezogen
und weitgestreut an seinen Rändern, beschränkt sich jedoch
nicht auf den Erfahrungsbereich der Bildschirmsimulation. Es dringt
vielmehr unmittelbar in die Körperlichkeit des Fußgängers
ein, der diesen porös gewirkten Teppich beschreitet. Eine wechselseitige
Interaktion von materieller und immaterieller Welt entsteht, die nicht
ohne Folgen bleiben kann für das Selbstverständnis des müßig
Flanierenden oder eiligen Passanten. In der diffusen Streuung der
Rosen entwickelt sich eine atmosphärische Dichte, die den Menschen
der Gegenwart enthebt und ihm das Erlebnis vermittelt die verborgene
Welt seiner Phantasien und Träume Gestalt annehmen zu sehen.
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Der
Stillstand der Zeit und die poetischen Assoziationen, die durch die
Erscheinungen in fluoreszierendem Licht ausgelöst werden, sensibilisieren
die Sinne und wecken das Verlangen nach Erfahrungen, die in unserer
entmystifizierten Welt zunehmend in Vergessenheit geraten sind. Der
tapfere Prinz jedoch, der im Märchen sein Dornröschen nur gewinnen
kann, wenn er die undurchdringliche Rosenhecke überwindet, steht nur
bedingt Pate für eine solche Installation, mit der ihn nur die Fülle
der Assoziationen verbindet. |
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Die Aufgabe des Helden war es, auf eine recht pragmatische Weise
ein sich ihm bösartig widersetzendes Dickicht zu besiegen,
das dornenreich und schmerzhaft seinen Wünschen im Weg stand.
Sein Widerpart war nichts anderes als die reine Materie und dies
in einer hochverdichteten und deshalb gefahrvollen Dinglichkeit.
Yvonne Goulbiers Metier ist dagegen ein anderes: Ihre Lichtprojektionen
symbolisieren die "andere" Seite der menschlichen Existenz,
die nächtliche und zugleich lichterfüllte Welt des Unbewussten
und die Wünsche und Sehnsüchte, die unter den Schichten
von Vernunft und Pragmatismus begraben sind. Die "große
Illumination des gesamten Etablissements" versprach der Gastwirt
Robert Böwig einst seinen Besuchern im Rosental und dies
mit "mehreren Tausend Flammen". Auf ähnliche, wenn auch
ungleich sublimere Weise entmaterialisiert Yvonne Goulbier die
sichtbare Welt und führt den Menschen auf den Kern seiner
Empfingungsfähigkeit zurück, dahin, wo die Trägheit
seiner Wahrnehmung unmittelbar in Bewegung gerät und seine
Lethargie, die sich vor den stetig wiederkehrenden Phänomenen
des Alltäglichen schützt, plötzlich in entzücktes
Staunen umschlägt.
Dr. Beatrix Nobis
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Das
Kunstwerk von Yvonne Goulbier entsteht mit freundlicher Unterstützung
der
Volkswagen AG.
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