Der Weg zur neuen Quadriga
Als der Neubau des Braunschweiger Schlosses ab 2003 klare Formen annahm und Aussicht auf Erfolg des Projektes bestand, wurde auch der Plan zur Wiederherstellung der Krone des Schlosses, der Quadriga, gefasst.
Der erste Schritt war, das 1999 in der Dresdner Skulpturensammlung Albertina entdeckte Originalmodell Rietschels erneut abzugießen. Den Abguss zwischen Herbst 2003 und Mai 2004 finanzierte die Richard Borek Stiftung, Braunschweig. Bis Ende 2005 schälten sich drei Wege zur Umsetzung des Modells in den 1 : 1 Maßstab, in die schon von Rietschel gefürchteten gigantischen Formen von bis zu 9 m Höhe, heraus: die elektronische Formfräsung, die Kupferplattentreibarbeit wie beim Original und die bildhauerische Anfertigung von 1 : 1 Modellen mit anschließendem Bronzeguss. Das Quadriga-Team entschied sich schließlich für das zuletzt genannte klassische Verfahren.
Die Herstellung der ersten Modelle im 1 : 1 Maßstab
Die Suche nach einer geeigneten Firma mit Kennerschaft hochwertiger Bronzegussverfahren, großen Werkshallen und geeigneten Bildhauern führte nach Polen. In Komorniki, einem kleinen Ort westlich von Posen, überzeugte die Gießerei DBA Kosicki. Sie erhielt den Auftrag, zunächst probehalber von den angestellten Bildhauern ein Pferd anfertigen zu lassen. Vorgabe war, wie später für Wagen und Brunoniafigur, dass Rietschels Modelle und deren ‚Temperament’ im 1 : 1 Maßstab exakt kopiert werden sollten. Das Probepferd entstand durch die Modelleure Artur Wochniak und Arletta Kindermann in klassischer Art als Gipsmodell auf einem Styroporkern mit Draht- und Eisenversteifungen. Im Mai 2006 wurde das bis zu den Ohrspitzen 4,5 m hohe Pferd für gut befunden, so dass der vollständige Auftrag erteilt werden konnte.
Der Bronzeguss der Quadriga
Die Größe der Quadrigafiguren erlaubt nur den Guss einzelner Platten. Dieses „Wachsausschmelzverfahren“ ist sehr alt. Auch der Braunschweiger Löwe entstand hierdurch. Man nimmt z.B. von der Pferdemähne des 1 : 1 Gipsmodells Wachsmodelle in der Größe von ca. 50 x 70 cm. Bei mehrfacher Verwendung wie den Pferdebeinen wird zunächst ein Silikonabdruck angelegt und davon mehrfach der Wachsabdruck gefertigt. Dieser wird nun in Ton eingepackt und im Erstbrand ausgeschmolzen. Der Gusston ist nun feuerfest geworden und bildet einen Hohlraum als Negativabdruck. Dieser wird beim nachfolgenden Guss mit flüssiger Bronze verfüllt. Das Schleifen gibt dem aus seinem Tonmantel herausgeschlagenen Bronzegussteil seine Form und den zunächst goldenen Glanz. Dieser wird aber nach wenigen Wochen bräunlich und nach ca. 20 Jahren grünlich. Schließlich werden die einzelnen Platten in ebenso mühevoller Handarbeit zur Pferdefigur verschweißt.
Herstellung der Pferde
Nach Fertigstellung des Gipsmodells des ersten der vier Zugpferde wurden nach und nach die drei übrigen Modelle in ihren beeindruckenden Abmaßen von 4,5 m Höhe, 4,7 m Länge und 1,2 m Körpertiefe hergestellt. Das dauerte von Juni 2006 bis April 2007. Während noch Teile eines Pferdes in Gips modelliert wurden, hatte schon im Oktober 2006 der Guss der ersten Pferdefigur begonnen. Im Spätherbst 2006 wurden bereits gegossene Teile verschweißt. Die Gießer konnten zur Erleichterung ihrer Arbeit verschiedene gleiche Einzelteile mehrfach gießen. Um den leichten Trab der Pferde zuchtvoll darzustellen, hatte Rietschel nur zwei Gangarten gestaltet, die sich im Wechsel a – b – a – b vom linken zum rechten Außenpferd wiederholten. Sonst waren nur noch das Zaumzeug und die die Pferdebrust zierenden Löwenköpfe der sonst eigenständigen Pferde einheitlich.
Die erste Vorstellung der Quadrigapferde in Braunschweig
Am 6. Mai 2007 wurde das neu erbaute Schloss der Stadt übergeben. Die Bürger konnten die 13000 m² städtischer Kulturräume, im Erdgeschoss in schlossartigen Formen, zum ersten Mal besichtigen und das Schloss in seiner ursprünglichen Größe wiedererleben. Für diesen hohen Tag wurden auch die bereits fertig gestellten Teile der Quadriga präsentiert: die vier Zugpferde und die annähernd vollständige Brunonia. Trotz allergrößter Anstrengungen war es der Gießerei nicht gelungen, die Quadriga vollständig abzuliefern. Darüber tröstete die Aufstellung der riesigen Rosse auf ihrem Podest über dem Schloss in 26 m Höhe hinweg, da schon sie allein einen einmaligen Anblick boten. Die nicht mehr fertig gestellte Brunonia verblieb auf dem Schlossplatz, wo man ihre feinen Einzelheiten aus allernächster Nähe bewundert konnte, z. B. ihr Haupt, von dem im Städtischen Museum erhaltenen Brunoniakopf von 1863 abgegossen wurde.
Die Quadriga wächst weiter
Mitte April 2007 war der große Streitwagen von 4,6 m Länge, 2,3 m Höhe und 2,6 m Breite fertig modelliert. Er wurde nun in senkrechte Streifen zerlegt und so für den Guss vorbereitet. Die Scheitelwandung mit 2,3 m Höhe wurde aus drei Reihen Einzelplatten ‚aufgebaut’. Wie üblich wurden die Platten mit ca. 8 – 10 mm Stärke gegossen und verschweißt. Das dauerte bis August 2007. Danach erfolgte das aufwändige Schleifen und Polieren der großen Flächen. Sie werden von Blattranken geziert, die auf der Vorderseite die Braunschweiger Herzogskrone mit dem springenden Welfenross darunter zeigen. Die letzten dieser die Bronze zum ‚Leben’ erweckenden Polierarbeiten zogen sich bis Dezember 2007 hin. Bei der Brunonia mussten noch fehlende Stücke der Schulter und die Arme ergänzt werden.
Die Fertigstellung
(Texte: Dr. B.Wedemeyer, M.A.)