27. bis 29. September 2013
Helmstedter Universitätstage
Das Jahrhundert der Gewalt
Das allmählich in die Geschichte zurücktretende 20. Jahrhundert wird in der Geschichtswissenschaft gegenwärtig neu vermessen. Immer deutlicher tritt es als ein Zeitalter der Extreme (Eric Hobsbawm) hervor, dessen verstörendstes und vielleicht auch prägendstes Merkmal eine präzedenzlose Entfesselung der Gewalt bildete. Zugleich werden die Helmstedter Universitätstage mit einem herausragenden Vortrag auch den 100. Jahrestages der sogenannten Welfenhochzeit 1913 zwischen Ernst August III. und der Kaisertochter Victoria Luise von Preußen zum Anlass nehmen, ein Kaleidoskop des letzten Jahres vor dem Ersten Weltkrieg "zwischen Monarchie und Moderne" zu entwerfen. Der Blick zurück auf das beginnende 20. Jahrhundert bietet dabei ein facettenreiches Bild der politischen, wirtschaftlichen, kulturell-geistigen und sozialen Verhältnisse im späten Kaiserreich.
Vom Ersten Weltkrieg, „the great seminal catastrophe of this century“ (George Kennan), der das lange 19. Jahrhundert des Bürgertumsaufstiegs beendete, bis zu den weitgehend friedlichen Revolutionen 1989/91 zieht sich eine Konkurrenz der gesellschaftlichen Ordnungssysteme, deren furchtbare Gewaltspur in den letzten Jahren immer stärker in den Blick geraten ist. Sie reicht vom Massentod im Ersten Weltkrieg über den Großen Terror in der Sowjetunion und die beidseitigen Greueltaten im Spanischen Bürgerkrieg bis hin zum Holocaust in deutscher und zum ukrainischen Holodomor in sowjetischer Verantwortung und weiter zu den Massenmorden des Maoismus in China und der Roten Khmer in Kambodscha bis hin zum Völkermord in Ruanda. Mit begrifflichen Umschreibungen wie dem nationalsozialistischen „Zivilisationsbruch“ (Dan Diner) oder „Bloodlands“ (Timothy Snyder) oder „Roter Terror“ (Jörg Baberowski) versucht die Geschichtsforschung dem Phänomen der politischen und sinnweltlichen Gewaltentäußerung des 20. Jahrhunderts gerecht zu werden und sie von der der teils mit ihr überlappenden, teils sie ablösenden „Entgewaltung“ der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts abzuheben. Die Helmstedter Universitätstage 2013 verfolgen in Vorträgen und Podiumsdiskussion die doppelte Linie der Gewaltentäußerung und der Gewalteinhegung als einem zentralen Charakteristikum des 20. Jahrhunderts. Namhafte Fachhistoriker und Kulturwissenschaftler diskutieren die Phänomene der Gewaltentfesselung und der Gewaltnormalisierung am Beispiel der nationalistischen Lagerbildung und der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft. Sie versuchen zugleich die wachsende Absage an die Gewalt als Mittel des Konfliktaustrags im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zu fassen und erörtern etwa den Aufstieg der Menschenrechte zu einem Leitparadigma der politisch-kulturellen Verständigung und den Wertewandel vom Heroismus zum Viktimismus, von der Vergemeinschaftung zur Individualisierung in der gesellschaftlichen Selbstverständigung.
Veranstaltungsreihe:
Alle Veranstaltungen der Reihe:
Helmstedter Universitätstage
Termin(e):
27.09.2013 - 29.09.2013
Veranstalter:
Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, Grenzenlos, Wege zum Nachbarn e.V., Telefon 0531 70742-0, E-Mail info@sbk.niedersachsen.de, www.sbk-bs.de
Juleum Helmstedt, Collegienplatz 1, 38350 Helmstedt
Veranstaltung | Details | Ort