Durchschaubare Zellen
40 Prozent
des menschlichen Zellstoffwechsels haben Forscher der TU Braunschweig bereits im Blick. Bald wollen sie krankheitsbedingte Veränderungen in den Zellen oder die Wirkung neuer Medikamente vorhersagbar machen.
Glosse
Wer möchte schon wirklich wissen, ob er morgen - anstatt gesund und voller Schaffensdrang aufzuwachen - platt im Bett liegen bleiben muss, bei Temperaturen über 39 Grad Celsius, mit einer Niesschauer-Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent, die gefühlte Lausigkeit extrem hoch? Wissenschaftler versuchen dennoch mit Hochdruck, das Immunsystem berechenbar zu machen und Infektionsverläufe vorherzusagen wie Meteorologen das Wetter. Die Prognosen sollen allerdings nicht in tägliche Krankheitsvorhersagen münden, sondern vor allem helfen, die Wirkung neuer Medikamente abzuschätzen. Dazu müssen die Forscher alles, was sie über das molekulare Geschehen in Zellen wissen, in mathematische Gleichungen gießen: komplexe Gebilde, die auch wilden Fieberträumen entsprungen sein könnten und die nur mit Hilfe leistungsstarker Rechner lösbar sind. Bioinformatik heißt diese Disziplin der Biowissenschaften und ist seit ein paar Jahren schwer im Kommen. Auch die Technische Universität Braunschweig und das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung setzen gemeinsam auf dieses Thema, fördern seit Januar ein hochkarätiges Bioinformatik-Team und sagen stürmisches Forschen mit ergiebigen Ergebnissen an der Infektionsfront voraus. (ah)
Fakten
Ein neues Forscherteam der Technischen Universität (TU) Braunschweig arbeitet zusammen mit Wissenschaftlern des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) daran, das komplexe Geschehen in menschlichen Zellen biochemisch zu erfassen und schließlich sogar zu simulieren. Systembiologie und Bioinformatik heißen die beiden Disziplinen, um die es geht und die seit einigen Jahren immer häufiger von sich reden machen. Dietmar Schomburg ist ein Experte auf diesem Gebiet und seit Januar Professor an der TU. "Das Fernziel unserer Untersuchungen ist es, Veränderungen des Zellstoffwechsels vorhersagen zu können, und zwar sowohl abhängig von äußeren Einflüssen wie Krankheitserregern oder medizinischen Wirkstoffen als auch durch Gendefekte", sagt er. Mit Ingenieuren und Informatikern der TU will er dazu geeignete mathematische Modelle entwickeln. Der Chemiker selber hat vor allem das molekulare Geschehen in den Zellen im Visier. Er hat eine Analysemethode entwickelt, mit der im Labor 300 Produkte des Zellstoffwechsels gleichzeitig erfasst werden können. "Damit haben wir bereits rund 40 Prozent des Zellstoffwechsels im Blick", betont Schomburg. Mit seinem Team arbeitet er an einer Erweiterung der Methode, um noch mehr Moleküle "sehen" zu können. (ah)