Liebesgrüße aus Braunschweig
Liebesbriefe
konservieren nicht bloß intime Gemütszustände oftmals berühmter Paare, sondern sind Ausdrduck der Gefühlskultur ihrer jeweiligen Zeit.
Glosse
Ob es unsere Urahnen in prähistorischer Zeit auch schon getan haben, vielleicht mit Rauchzeichen am Lagerfeuer wie die Indianer? Wir wissen es nicht. Sich einen Federhalter zu schnitzen, auf die Idee wäre wohl niemand verfallen. Wie aber bloß die Distanz überbrücken zur fernen Angebeteten und wie Meldung machen vom eigenen Liebesschmerz? Schleicht man auf der Suche nach Antworten durch die langen Flure des "Campus Nord" der TU Braunschweig, muss man neuerdings damit rechnen, von umherfliegenden Pfeilen getroffen zu werden, denn ein quirliger Bogenschütze namens Amor hat hier sein Trainingslager aufgeschlagen. Dass der Köcher immer gut gefüllt ist, dafür sorgen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom hier ansässigen Germanistischen Institut. Was, werden Sie fragen, treibt gestandene Forscher dazu, bei einer olympischen Disziplin zu assistieren? Kurz gesagt: blanker Eigennutz. Sie schauen dem kleinen Boten bei seinem Treiben genau auf die Finger. Herauszufinden gilt, was er sich insbesondere in den letzten drei Jahrhunderten an Brandstiftungen so geleistet hat. Leicht entzündlich ist auch das Medium, das in aufgeklärter Zeit solche Spuren bis heute bewahrt - der Liebesbrief. In einer dreibändigen kommentierten Edition derartiger Korrespondenz werden die Germanisten schließlich ihre Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit vorstellen. Und unsere Urahnen? Sie mussten sich wohl mit kaltem Rauch begnügen. (rei)
Fakten
Begleitet von starker Medienpräsenz, fand vom 6. bis 8. Oktober 2006 in Braunschweig eine kulturgeschichtliche Tagung zum Thema "Liebesbriefe aus drei Jahrhunderten. Schriftkultur und Medienwechsel" statt. Zahlreiche Geisteswissenschaftler verschiedener Provenienz folgten der Einladung der Technischen Universität, die das Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit der Justus-Liebig-Universität Gießen ins Leben gerufen hat. Dass die Forschungen gerade das 18. Jahrhundert als Ausgangspunkt nehmen, liegt am spezifischen Wandel der Gefühlskultur. "Im 18. Jahrhundert vollzieht sich ein erkennbarer Diskurswechsel in der Liebe", sagt Renate Stauf vom Germanistischen Institut der TU Braunschweig. "War das Gefühl in der höfisch-galanten Kultur etwas, das verborgen oder kostümiert werden musste, so fordert das entstehende Bürgertum nun die Echtheit und Wahrhaftigkeit im Ausdruck von Gefühlen." Im Mittelpunkt stehen die Zeugnisse berühmter Paare, was schlicht an der Situation der Überlieferung liegt, wohingegen in unserer medialen Zeit der vernetzte Mainstream keine originäre Schriftkultur herauszubilden scheint. In etwa drei Jahren wird das
Projekt unter der Leitung von Renate Stauf in eine dreibändige kommentierte Briefausgabe münden. Dort wird nachzulesen sein, dass der Brief Liebe nicht nur konservieren, sondern geradezu erwecken kann. In Rousseaus Briefroman "Die neue Heloise" schreibt Julie: "Ich kannte am Anfang nichts von ihm als seine Sprache und ich wurde verführt."
(rei)
Kontaktinformationen
Name: | Prof. Dr. Renate Stauf |
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Institution: | Institut für Germanistik, Deutsche Literatur, Technische Universität Braunschweig |
Adresse: |
Bienroder Weg 80 38106 Braunschweig |
WWW: | http://www.tu-braunschweig.de |
E-Mail: |