Demokratische Massen
"Masse" oder "Volk"
was ist für die Ideologie der Nationalsozialisten der wichtigere Begriff? - eine Forschungsfrage an der TU Braunschweig.
Glosse
Eine Rose? Gerne! Massenhaft Rosen und schon wird´s dekadent. Ein Maikäfer - nettes Symbol für den Frühling. Massenhaft Maikäfer - eine Plage. Und so weiter: Unmengen von Wasser, Wüsten voller Sand. Kann, was massenhaft auftritt, etwas Gutes sein? Und gilt dies nicht auch für die menschliche Zivilisation? Oder stehen Sie gern im Stau? Oder bei einer Massenveranstaltung direkt vorne an der Bühne? Von Massenentlassungen ganz zu schweigen.
"Politisch gesehen ist der Begriff "Menschenmassen" zu Unrecht in Verruf", meint Ishay Landa, Historiker und Philosoph aus Israel, und sieht gerade in der Undiszipliniertheit einer Masse die Quelle für demokratisches Denken. "Schon Thomas Mann sprach - freilich mit snobistischem Unterton - von der "demokratischen Masse" und dem "aristokratischen Volk"", erklärt Landa.
Landa, der zur Zeit an der Technischen Universität Braunschweig forscht, untersucht die Begriffe "Masse" und "Volk" in der faschistischen Ideologie und blickt kritisch auf gegenwärtige Einschätzungen zum Phänomen Faschismus: "Der Faschismus war gerade kein Massenphänomen, wie es immer wieder behauptet wird. Das Thema fasziniert mich, weil es bis jetzt noch keine endgültige Einschätzung dazu gibt und jeder Erklärungsversuch vor allem über die Zeit spricht, in der er geäußert wird," sagt Landa.
(ehl)
Fakten
"Volk" und "Masse" im Faschismus
"Ich fand es spannend, dass das historische Phänomen des Faschismus bisher immer noch keine befriedigende oder allgemein gültige Definition gefunden hat", so begründet Ishay Landa, Historiker und Philosoph aus Israel, sein Interesse für das Thema, das ihn zur Zeit beschäftigt. Den Forscher an der Technischen Universität in Braunschweig irritiert die Behauptung, der Faschismus sei vor allem ein "Massenphänomen" gewesen. Diese Sichtweise hat Tradition in der Geschichtsschreibung und ist auch heute wieder populär, erläutert Landa. Doch die "Masse" war für die Nationalsozialisten nur interessant, um aus ihr das "Volk" zu formen, das hinter ihnen stehen sollte. Das Volk ist alles das, was die Masse sein sollte. Die Masse wird als unabhängig, arbeitsscheu, friedliebend, egalitär, launenhaft und rebellisch charakterisiert. Das Volk hingegen sollte diszipliniert, obrigkeitshörig, fleißig, bescheiden und opferbereit sein. "Das ist eine ganz wichtige Differenzierung", sagt Landa und betont, dass ein Schwerpunkt seiner Forschung auf einer Art Rehabilitierung der sogenannten "Massen" liegt, die für viele Historiker und Soziologen einen günstigen Sündenbock bieten, um alle Katastrophen des 20. Jahrhunderts zu erklären. "Für mich dagegen muss der Wert der Massendemokratie und ihres emanzipatorischen Potentials immer wieder betont werden", erklärt Landa. "Es ist der Kontrapunkt zu selbstzufriedenem Elitismus". (ehl)
Kontaktinformationen
Name: | Dr. Ishay Landa |
---|---|
Institution: | Technische Universität Braunschweig - Fachbereich Philosophie |
WWW: | http://www.tu-braunschweig.de |
E-Mail: |