Waagen im Härtetest
Apfel oder Birne?
Moderne Waagen mit Bilderkennung sagen nicht nur, wieviel, sondern auch, was auf ihnen liegt.
Glosse
"450 Gramm Thüringer Mett, bitte." Schwungvoll schaufelt die Verkäuferin einen Mettklops aus der Schüssel und klatscht ihn auf die Waage. Exakt 450 Gramm, nicht mehr, nicht weniger - wie die Wurst-Frau im Werbespot. Erst in der heimischen Küche stelle ich fest: Das Mett ist ungewürzt. "Die Waage zeigt, ob schwer, ob leicht, aber nicht, ob Gold, ob Silber", besagt eine alte Spruchweisheit. Findige Ingenieure allerdings rütteln an ihrer Substanz. Denn die neue "intelligente" Waage wiegt nicht nur, wie schwer, wie leicht, sondern unterscheidet auch, ob Apfel oder Birne, dereinst wohl auch, ob "Golden Delicious" oder "Silberreinette". Digitale Bilderkennung macht's möglich. Doch was, wenn der angeblich schwere Apfel in Wahrheit ein Leichtgewicht ist? Um Händler wie Käufer in Sicherheit zu wiegen, werden wägetechnische Innovationen aller Art und Größe von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt auf Eichfähigkeit getestet. Schrägstellung, Störspannung, Hitze, Kälte und extreme Luftfeuchtigkeit - nicht immer nur für Waagen ein besonderer Härtetest. Karsten Schulz, Leiter Dynamisches Wägen, erzählt: "Nach einiger Zeit in der begehbaren Klimakammer ist man körperlich ganz schön fertig." Zumindest in der PTB hört man dann eines wohl nicht: "Darf's ein bisschen mehr sein?" (mba)
Fakten
Kaum aus dem Mutterleib geschlüpft, zählt jedes Gramm: Ab da wird der Mensch sie nicht mehr los: die Waage. Sie ermöglicht das Kochen nach Rezepten, lässt ihn im Supermarkt Schlange stehen und beendet Modelkarrieren. Aber auch ungesehen begleitet sie ihn täglich: Wenn er nach einer Packung Tiefkühlfisch greift, die von der vollautomatisierten Fabrikwaage befüllt wurde. Wenn er in seinem Auto sitzt, das mit Wägesensoren bestückt ist. Vom kleinsten Staubkorn im Milliardstelbereich eines Gramms bis zur tonnenschweren Schiffsladung: In allen Wirtschaftszweigen wird gewogen. Um hier Verlässlichkeit zu garantieren, vergibt die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig nach vollzogener Bauartprüfung das Prädikat "eichfähige Waage".
Während die PTB-Messtechniker im "mechanischen Zeitalter" noch Gewichte durch die Gänge schleppten, wird heute mit dem Konstruktionsplan häufig nur ein Elektronikmodul vom Hersteller eingesandt. Die entsprechenden Wägezellen oder Waagenbrücken werden elektronisch simuliert.
Der technologische Fortschritt allerdings birgt auch neue Herausforderungen für den Testbetrieb. "Wir müssen sicherstellen, dass nach der Eichung die Software nicht mehr geändert werden kann", erläutert Dipl.-Ing. Karsten Schulz, Leiter der Arbeitsgruppe "Dynamisches Wägen". Eine weitere Herausforderung stellt das Wägen nicht stillstehender Objekte dar. Ständig optimiert werden Wägevorrichtungen an Fahrzeugen, auf Straßen und auf dem Gleis, die Fracht beim Verladen und in Fahrt messen können. "Ziel ist es, auch bei sehr, sehr hohen Geschwindigkeiten präzise Wägungen durchzuführen", sagt der Wägetechniker.
Rund 70 Waagen pro Jahr durchlaufen einen bis zu dreiwöchigen Testparcours, den etwa jede fünfte nicht besteht. Die Objekte werden unter anderem mit Störspannungen konfrontiert, Belastungen von bis zu 200 Tonnen unterzogen und kommen in Klimakammern, die verschiedene Umweltfaktoren simulieren, z. B. ganz normale Temperaturspannen von -10 bis +40 Grad, aber auch tropische Luftfeuchtigkeit von 85 Prozent. Schulz: "Dadurch, dass die Prüfungen Hinweise darauf geben, wo Probleme liegen könnten, ist die Wägetechnik der PTB auch immer an der neuesten Forschung dran." (mba)
Kontaktinformationen
Name: | Dipl.-Ing Karsten Schulz |
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Institution: | Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) - Arbeitsgruppe Dynamisches Wägen |
Adresse: |
Bundesallee 100 38116 Braunschweig |
Telefon: | 0531/592-1144 |
WWW: | http://www.ptb.de |
E-Mail: |