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Und täglich grüßt die Wissenschaft
08.05.2007

Mobiles Wohnen

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Osmanische Zelte
aus dem 15. bis 18. Jahrhundert sind die Glanzstücke des Zeltbaus, dessen Geschichte Berthold Burkhardt vom Institut für Tragwerksplanung der TU erforscht.

Glosse

Die Campingsaison naht, und so wird man in Kürze auf Zeltplätzen wieder fluchende Familien beim Hantieren mit wackeligem Zeltgestänge, störrischen Heringen und verknäulten Innenzelten beobachten. Womöglich liegt's daran, dass sich weltweit kaum Forscher mit der jahrtausendealten Tradition des Zeltbaus befassen?
Einer, der die Zeltbaukunst historisch unter die Lupe nimmt, ist Berthold Burkhardt, Leiter des Instituts für Tragwerksplanung der TU Braunschweig. Bei seiner Analyse der Nutzung und Bauweise von Nomaden-, Militär-, Fest- oder Zirkuszelten liefern ihm neben einigen Originalstücken vor allem historische Abbildungen und Beschreibungen interessante Indizien.
Darunter Visionäres, wie der Wunsch eines Sultans in 1001 Nacht, ein Zelt zu besitzen, "das in einer Hand Platz hat, unter welchem jedoch mein ganzes Heer ein Obdach finden kann." Klein, transportabel, aber im Innern viel Platz - auch heute noch das Ideal einer mobilen Behausung und im Märchen innerhalb weniger Tage herbeigeschafft.
Oder aber Dekadentes: Dass zeltend auf Reisen auch das Leben auf der Luftmatratze seine Vorzüge haben kann, beweist jener Prinz auf einem Gemälde des 14. Jahrhunderts, der auf lederner Luftmatratze (die Nähte mit Teer gedichtet) ruht, während seine Lakaien mit Blasebalg pneumatisch nachbessernd für konstante Bequemlichkeit sorgen. Reisender, haust Du noch, oder zeltest Du schon? (mba)



Fakten

Architekturgeschichtlich findet der Zeltbau wenig Beachtung. Dabei ist das Zelt eine der ersten Behausungen von Menschenhand und wird auch heute noch vielfältig genutzt: Die Bandbreite reicht von Reisezelten über Festzelte, Sanitätszelte, Messezelte, Militärzelte und Zirkuszelte und natürlich noch immer die Wohnzelte nomadischer Völker. Als einer der weltweit raren Experten erforscht Berthold Burkhardt, Architekturprofessor und Leiter des Instituts für Tragwerksplanung der TU Braunschweig, seit etwa 30 Jahren den historischen Zeltbau in all seinen Facetten.
Als Quelle dienen ihm historische Abbildungen und Beschreibungen, wobei auch die Bibel und zahlreiche Märchen und Erzählungen sich als wahre Fundgruben für die Analyse von Bauweise und Nutzung erweisen. In Burkhardts eigener, wohl größten deutschen Privatsammlung an Zeltdokumenten befinden sich unter anderem 200 Originalstiche. Das ehemalige Archiv einer Zeltbaufirma, dessen Katalogbestand an Stoffmustern bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht, gibt ihm tuchfühlend Aufschluss über damalige Farbe und Materialwahl. Teile eines historischen Zirkuszelts und der Nachlass von Luisita Leers, einer weltberühmten Hochseilartistin aus Braunschweig, mit zahlreichen Fotos aus den dreißiger bis fünfziger Jahren, ergänzen die Sammlung.
Über 40.000 Jahre alt sind die ältesten Funde in Lagerstätten, deren Verankerungen mit Knochen und Steinen Rückschlüsse auf die Zeltkonstruktion zulassen. Bereits in der Antike waren einige Zelte auch für größere Menschenmengen konzipiert. Ein Festzelt zur Zeit des Ptolemäus soll 4.000 Menschen beherbergt haben. Der mitteleuropäische Zeltbau wurde wesentlich geprägt durch das antike Rom, das osmanische Reich und die Mauren in Spanien. "Als Behausung haben Zelte in Europa keine ursprüngliche Tradition, sondern dienten eher als temporäre Unterkunft", sagt Burkhardt. "In den letzten 2.000 Jahren wurden sie vorwiegend höfisch und militärisch genutzt."
Mit fortschreitender Industrialisierung im 19. und 20. Jahrhundert veränderte sich auch die Entwicklung und Nutzung von Zelten. In kleineren Städten, in denen es keine Messehallen gab, benötigte man nun für Gewerbeausstellungen, beispielsweise "Harz und Heide", entsprechende Zelte. Häufig schmückten temporäre Fassaden die Zelthallen - eine Kulissenarchitektur, die wohl vor einigen Jahren Pate gestanden hat für die Berliner Schlossattrappe aus bemaltem Tuch.
Als Glanzstücke des Zeltbaus allerdings gelten bis heute die osmanischen Zelte aus dem 15. bis 18. Jahrhundert. "Nicht nur ihre Formenvielfalt, vor allem ihre Ausstattung ist so fantastisch", schwärmt Burkhardt. Während die Außenhaut türkischer Rundzelte aus strapazierfähigem Baumwollgewebe bestand, betritt man im Innern eine prunkvolle Welt: Bespannungen aus Seide, Samt oder Brokat, prächtige Applikationen, Ornamente und Schriftzeichen, goldverzierte gedrechselte Masten.
Derzeit restauriert die Paramentenwerkstatt der von Veltheim-Stiftung in Helmstedt im Auftrag der Rüstkammer in Dresden eines der wenigen noch erhaltenen Türkenzelte aus dem 17. Jahrhundert, ein Beutestück aus der Schlacht vor Wien 1683. Als Berater begleitet Burkhardt die Restaurationsarbeiten im Hinblick auf Rekonstruktion, Zuschnitte und museumsgerechte Montage. Demnächst wird das prachtvolle Zelt in der Rüstkammer im Dresdner Residenzschloss zu sehen sein. (mba)



Kontaktinformationen

Name: Prof. Berthold Burkhardt
Institution: Technische Universität Braunschweig, Institut für Tragwerksplanung
Adresse: Pockelsstraße 4
38106 Braunschweig
Telefon: 0531/391-3572
WWW: http://www.twl.tu-bs.de
E-Mail:
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