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Und täglich grüßt die Wissenschaft
05.06.2007

Ein Fisch namens Carolowilhelmina

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380 Millionen
Jahre alt ist der Ur-Fisch namens Carolowilhelmina, dessen Kopfskelett der Braunschweiger Paläontologe Peter Carls entdeckte.

Glosse

Wer suchet, der findet. Allerdings nicht immer das, wonach er gesucht hat. So entdeckte Columbus Amerika, als er eigentlich auf dem schnellsten Weg nach Indien wollte. Ein bisschen ähnlich ging es dem Paläontologen Peter Carls, heute emeritierter Professor an der TU Braunschweig, der im spanischen Aragon eigentlich "nur" nach winzig kleinen Zahnfossilien suchte. Nachdem er einen dicken Kalkbrocken zunächst als Ausschuss in ein kleines Bächlein geworfen hatte, kam darin ein Fund zutage, der sich nicht nur als einziger seiner Art, sondern auch seiner Gattung erweisen sollte: das Kopfskelett eines großen Ur-Fisches, der mit keinem anderen Familienähnlichkeit hat - seit einigen Jahren bekannt als Panzerfisch namens Carolowilhelmina. Nicht etwa, dass der bizarre Fund Familienähnlichkeit mit den beiden Gründervätern der gleichnamigen Universität hätte. Das fossile Ur-Tier hat riesige Augäpfel und eine bizarr verlängerte Schnauze mit zwei hakenförmigen Keilen auf der Nase. Es schwamm zu Lebzeiten vor gut 380 Millionen Jahren im Erdzeitalter des Devon durch einen breiten Meeresarm und zermalmte mit seinem zahnlosen Maul kleine urtümliche Schalentiere und Tintenfische. Seinen Namen trägt das Unikat ehrenhalber. Damit dieses Meisterwerk der Evolution nicht so allein im Museum bleibt: Auf nach Spanien, sucht nach devonischen Sedimenten. Findet Carolowilhelmina! (mba)



Fakten

Auf der Suche nach Conodonten in Kalksteinen in der spanischen Landschaft Aragon stieß Paläontologe Peter Carls in den Siebziger Jahren zufällig auf das merkwürdig aussehende Kopfskelett eines größeren Ur-Fisches: Augäpfel von acht Zentimeter Durchmesser, schlanke Kopfform mit einer bizarr verlängerten Schnauze und einem bis dato unbekannten Sinnesorgan. Bis zur endgültigen Klassifizierung des Fundes sollte es jedoch noch zwei Jahrzehnte dauern. Dann war klar: Weltweit gab es keine Familienähnlichkeit dieses vier Meter langen Panzerfisches zu anderen Ur-Fischen. Und so nannte er die neue Gattung zu Ehren der Braunschweiger Universität und seines Faches Carolowilhelmina geognostica. "Ein ganz besonderer Fisch, ich habe nichts Vergleichbares mehr gefunden", sagt Peter Carls, emeritierter Professor für Paläontologie an der TU Braunschweig.
Aus den umliegenden fossilen Funden und durch den Knochenbau des Skeletts selbst lassen sich wertvolle Rückschlüsse auf seine Umwelt und seine Lebensweise ziehen. Carolowilhelmina schwamm zu Lebzeiten vor gut 380 Millionen Jahren mitten im Erdzeitalter des Devon durch einen breiten Meeresarm im heutigen spanischen Aragon, als weltweit der Meeresspiegel gerade zu steigen begann.
Aus dem Fehlen fossiler Bodenfauna lässt sich schließen, dass im verhältnismäßig tiefen Wasser von 200 Metern am Meeresgrund Sauerstoffmangel herrschte: Der Ur-Fisch muss also an der Wasseroberfläche geschwommen sein. Dort stocherte er auf der Suche nach garnelen- oder krebsähnlichen Kleintieren und Tintenfischverwandten im Tang herum. Für diesen Zweck besaß das urzeitliche Tier an seiner langen Nase zwei hakenförmige Keile, die wahrscheinlich wie Stacheldraht in der Rückwärtsbewegung die fleischliche Nahrung mit sich zogen.
Der Ur-Fisch war ein schneller Schwimmer - darauf deutet die elegante Kopfform. Und sein Seitenlinienorgan, das der Orientierung im Wasser diente, dürfte ihm eine ausgeprägte Empfindung für Bewegungen verliehen haben. Das kann man an seinem geometrisch sehr präzisen Muster ablesen.
Da die Wirbelsäule dieser Fische nicht verknöchert war, sondern wie auch der Hirnschädel aus Knorpel bestand, haben beide die Zeiten nicht überdauert. Vom etwa vier Meter langen Tier blieb nur ein kleiner Teil des Kopfskeletts von immer noch 43 Zentimetern Länge. Der Kopf der Panzerfische gliederte sich in zwei Abschnitte: den Vorderkopf mit Rostrum, Kiefern und Augen und einen hinteren Teil, die durch ein Gelenk mit zwei Gelenkköpfen miteinander verbunden waren. "Wenn so ein Raubtier sein Maul aufriss, klappte es zugleich den Oberkiefer hoch und den Unterkiefer herunter", beschreibt Carls. Im Maul von Panzerfischen dieser Zeit befand sich statt Zähnen eine scharfe Knochenplatte. Carolowilhelmina aber war sanfter, die Knochenplatte fehlte - Kleintiere hatten dennoch keine Chance.
Heute ist Carolowilhelmina nah dem Fundort im Museum des Instituts für Paläontologie der Universität Saragossa (Zaragoza) ausgestellt.
Trotz seiner Emeritierung pausiert Carls bis heute nicht. Aktuell präpariert er einen weiteren Skelettfund aus Aragon: einen noch namenlosen, einen Meter langen Kopf eines besonders schweren Fisches, dessen Lebzeit auf etwa eine Million Jahre später datiert wird. (mba)



Kontaktinformationen

Name: Prof. a.D. Dr. rer. nat. Peter Carls
Institution: Technische Universität Braunschweig, Institut für Umweltgeologie
Adresse: Pockelsstraße 3
38106 Braunschweig
Telefon: 0531/391-7243
WWW: http://www.iug.tu-bs.de
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