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Und täglich grüßt die Wissenschaft
13.06.2007

Schlammige Zeitzeugen

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1,5 Millionen km²
umfasst das größte Hochplateau der Erde in Tibet, auf welchem Braunschweiger Umweltgeologen Klima- und Umweltveränderungen erforschen.

Glosse

Zeitreisen - der Traum vieler Forscher. Während jene in die Zukunft im Bereich des Möglichen zu liegen scheinen, ist ein Abstecher in vergangene Zeiten real wohl unmöglich. Und man bedenke die Konsequenzen: Man kann zum eigenen Großvater werden, sich durch seine Handlungen womöglich selbst aus der Geschichte radieren . Aber zum Glück gibt's ja Zeitzeugen, deren Konsultation auch ohne eigenes Dabeisein eine Bildungsreise in die Vergangenheit erlaubt. Nicht selten findet man auch welche im Schlamm. Und die haben so einiges zu berichten: Wie alt sie sind, wie sie lebten, wovon sie sich nährten, wie sie ihre Behausungen bauten und wie viel Regen und Wind sie ertragen mussten. Solch schlammige Zeitzeugen sind beispielsweise kleine fossile Muschelkrebse, die ein Braunschweiger Forscherteam vom TU-Institut für Umweltgeologie regelmäßig auf dem Dach der Welt aufsucht. Hoch oben, wo über schneebedeckten Gipfeln die Götter thronen, bauten die Wissenschaftler ein Kooperationsprojekt an einem tibetanischen See mit auf, um Klima- und Umweltveränderungen der letzten Jahrtausende zu rekonstruieren. Die im Seeschlamm begrabenen Kleinstlebewesen liefern ihnen wertvolle Indizien, um auch zukünftigen Klimawandel besser prognostizieren zu können. Und was immer die Forscher heute dort so treiben - Jahrtausende später wird's vielleicht in den dann fossilen Muschelkrebsen abzulesen sein. (mba)



Fakten

Auf dem "Dach der Welt" in Tibet, hoch oben in 3.700 Metern Höhe, hat eine Gruppe von Braunschweiger Umweltgeologen 2005 ihre Zelte aufgeschlagen - auf dem größten Hochplateau der Erde, am Salzwassersee Nam Co, der fast viermal so groß wie der Bodensee ist und an dessen Südufer die über 7.000 Meter hohen Gipfel des Nyainqentanglha-Gebirges steil wie eine Wand emporragen. Im Rahmen eines DFG-Pilotprojekts arbeiten Wissenschaftler des Instituts für Umweltgeologie der TU Braunschweig dort gemeinsam mit deutschen und chinesischen Kooperationspartnern an der Rekonstruktion von Klima- und Umweltveränderungen der letzten 8.000 Jahre.
Das Braunschweiger Team um Instituts- und Projektleiterin Antje Schwalb hat sich auf die Untersuchung von Seesedimenten spezialisiert. Die im Seeschlamm begrabenen Kleinstlebewesen fungieren auch Jahrtausende später noch als wertvolle Zeitzeugen, da sie Indizien für Klima- und Umweltveränderungen im und um den See in hoher zeitlicher Auflösung speichern. Anhand der Schalen kleiner Muschelkrebse beispielsweise lässt sich sogar der Einfluss von Luftmassen entschlüsseln. Denn die Schalen enthalten Informationen über das Seewasser, in dem sie sich gebildet haben, und das Seewasser wiederum enthält die Signatur von Niederschlägen und Verdunstung.
Um natürliche und vom Menschen verursachte Veränderungen von Umwelt und Klima, beispielsweise des Monsuns und der Gletscher, untersuchen zu können, bedarf es der Kenntnis des modernen Ökosystems. Mithilfe der aktuellen Daten können dann die in Sedimenten enthaltenen Klima- und Umweltinformationen auch aus alter Zeit entschlüsselt und zugeordnet werden. Dafür wird das Seewasser "beprobt" und mit all seinen Zuflüssen systematisch erfasst. Wie verhalten sich die Gletscher im Hinterland? Steigt der Wasserspiegel wegen des Abschmelzens der Gletscher oder wegen stärkerer Niederschläge? Wo kommen die jeweiligen Sedimente vor? Wer lebt wo unter welchen Bedingungen? In welcher Tiefe leben welche Muschelkrebse? "Mit diesen Informationen gehen die Forscher dann an die Analyse von Seesedimenten. Für die Entnahme von Sedimentproben wird von einer Bohrplattform aus ein Rohr ins Sediment gedrückt", beschreibt die Forscherin. Diese entnommene Probe, der Bohrkern, gibt auch Aufschluss über das jeweilige Alter. "Die heutige Sedimentenrate liegt bei einem Millimeter pro Jahr. Daraus lassen sich Altersbestimmungen ableiten."
In dieser tibetanischen Region hat sich erdgeschichtlich viel abgespielt: Die Bildung des Plateaus hat in den letzten 50 Millionen Jahren das globale Klima maßgeblich beeinflusst und das Monsunsystem bewirkt. Außerdem entspringen hier die größtenteils vom Schmelzwasser der Gletscher gespeisten großen Flüsse. "Es reagiert wie ein empfindlicher Sensor auf Umweltveränderungen", erklärt Schwalb. Seit zwei Jahrzehnten haben Forscher einen deutlichen Rückgang der Gletscher beobachtet. Setzt sich die globale Erwärmung weiter fort, ist daher zunächst ein Anstieg der Schmelzwasserproduktion zu erwarten, gefolgt von einem drastischen Rückgang, der zukünftig die Wasserversorgung gefährden und Ernteerträge mindern wird. Mithilfe der Informationen aus den Mikrofossilien wollen die Wissenschaftler letztlich auch Möglichkeiten aufzeigen, wie die Menschen sich in Zukunft besser an eine sich ändernde Umwelt anpassen können. Das jetzige Pilotprojekt wird ab 2008 ausgebaut. (mba)



Kontaktinformationen

Name: Prof. Dr. Antje Schwalb
Institution: Technische Universität Braunschweig, Institut für Umweltgeologie
Adresse: Pockelsstr. 3
38106 Braunschweig
Telefon: 0531/391-7241
WWW: http://www.iug.tu-bs.de
E-Mail:
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