Von den Reizen des Winzigen
1:10
ist der Maßstab für die Modell-Räume, in denen PTB-Wissenschaftler bauakustische Messungen vornehmen.
Glosse
Wenn ich mit meinem Mann in die Stadt gehe, muss ich die Route genau planen - oder mit einer halben Stunde zusätzlich rechnen. Sobald ein Modellbaugeschäft am Wegesrand liegt, vergisst mein Mann alles um sich herum. "Mensch, dieser Hubschrauber müsste in unserem Garten wunderbar fliegen!" Bei einer Wanderung zieht es ihn magisch zu jedem klaren Flüsschen: "Hier könnte man toll mit einem Mini-U-Boot üben!" Erstaunlicherweise hat er sich bisher noch keines dieser Modelle gekauft. Einige Akustiker der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt dagegen sind den Reizen des Winzigen erlegen. Seit kurzem messen sie in der Puppenstube, und dies sogar ganz wissenschaftlich motiviert. Darum ist ihre Puppenstube auch nicht so wahrheitsgetreu möbliert. Statt Mini-Bett, -kachelofen und -klo findet man hier nur paar kleine Lautsprecher und eine Gruppe Mikrophone. Damit versuchen die Physiker, den akustischen Verhältnissen wirklicher Räume auf die Spur zu kommen: Sind die Wände so dünn, dass die Nachbarn jeden Schnarcher mitbekommen? Ist der Boden auch für eine Horde Kleinkinder geeignet? Der Vorteil der Messungen im Winz-Maßstab liegt auf der Hand: Die Wissenschaftler müssen nicht für jede Fragestellung einen großen Raum aufbauen, der viel Geld und kostbaren Platz kostet. Sie haben herausgefunden, dass sich ein Mini-Modell für manche Untersuchungen ebenso eignet wie ein 1:1-Modell. Man muss nur an den richtigen Stellen ein paar Korrekturrechnungen vornehmen. So wie mein Mann, wenn er in seine Überlegungen die Bauzeit für den tollen Mini-Hubschrauber und die möglichen Folgeschäden einbezieht. Eine komplizierte Rechnung, in die viele Bäume, Zäune und Nachbarbalkons eingehen. (es)
Fakten
Bauakustik en miniature
Bauakustische Messungen in Prüfständen sind in der Regel sehr aufwendig. Die Testobjekte, typischerweise eine schwere Wand, eine Betondecke oder eine große Leichtbaukonstruktion, müssen vor der Messung aufgebaut und hinterher wieder abgerissen werden, um dem nächsten Objekt Platz zu machen. Messungen an maßstabsgetreu verkleinerten Modellen bieten einige Vorteile gegenüber Untersuchungen in Prüfständen im Originalmaßstab. Die Material- und Entsorgungskosten werden deutlich reduziert, es müssen keine großen Lager- und Aufbauflächen bereitgestellt werden und Änderungen am Experimentieraufbau sind oft mit einigen Handgriffen erledigt.
Wissenschaftler der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt haben sich daher mit dem Thema "bauakustische Messungen am Modell" genauer beschäftigt. Das Resultat: Um die am Modell erhaltenen Ergebnisse auf den Originalmaßstab übertragen zu können, haben sie einige Skalierungsregeln formuliert. Die gestalten sich verhältnismäßig einfach, solange es um reine raumakustische Problemstellungen geht, in denen man nur den Luftschall betrachtet. Dabei erhöhen sich die Messfrequenzen im selben Maße, wie sich die Längen verringern.
Doch in der Bauakustik geht es neben Luftschallfeldern auch um Körperschallfelder, wobei sich der Schall nicht nur in der Luft, sondern auch in einem Material fortpflanzt. Da ist das Ganze etwas komplizierter. Schließlich zeigte es sich, dass Acrylglas mit seinen Materialeigenschaften recht gut typische Baumaterialien simulieren kann, wie sie für schwere Wände verwendet werden.
Auf dieser Grundlage haben die Wissenschaftler ein Miniaturmodell eines bauakustischen Wandprüfstandes im Maßstab 1:10 entworfen, das den Anforderungen an einen Prüfstand nach internationalen Normen entspricht. Darin haben sie normgemäß die Luftschalldämmung von Acrylplatten verschiedener Dicke in verschiedenen Einbausituationen gemessen. Es zeigte sich, dass die im Modell gewonnenen Messwerte gut den Dämmungswerten einer vergleichbaren Massivwand entsprechen, die in einem 'echten' Wandprüfstand gemessen wurden.
Als Ersatz für zertifizierte Prüfmessungen in echten Prüfständen kann die Modellmesstechnik zwar nicht herhalten. Aber sie ist sehr gut geeignet als Werkzeug zur Grundlagenforschung. (es)
Kontaktinformationen
Name: | Christoph Kling |
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Institution: | Physikalisch-Technische Bundesanstalt, Arbeitsgruppe "Bauakustik" |
Adresse: |
Bundesallee 100 38116 Braunschweig |
Telefon: | 0531/592-1542 |
WWW: | http://www.ptb.de |
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