Ohne Mathe keine Brücke
Resonanz
ist das erzwungene Mitschwingen eines schwingungsfähigen Systems, zum Beispiel einer Brücke, wenn diese mit einer periodisch auftretenden Kraft einer bestimmten Frequenz belastet wird. (Institut Computational Mathematics der TU Braunschweig)
Glosse
Immer wenn Peter Maffays "Über sieben Brücken musst du gehen..." im Radio zu hören war, drehte meine Mutter den Lautstärkeregler auf volle Pulle und - es kommt noch schlimmer - sang lautstark mit. Das war mir irgendwie peinlich, vor allem wenn Freundinnen bei mir im Zimmer hockten und der Gesangseinlage im Haus irritiert lauschten.
"Peinlich" findet Prof. Dr. Thomas Sonar das nicht. "Peinlich ist vielmehr, dass beim Bau der Millennium Bridge in London mathematische Prinzipien missachtet wurden", sagt der Abteilungsleiter im Institut Computational Mathematics der TU Braunschweig. Dabei wollten die Londoner nicht mal über sieben Brücken, sondern nur über eine Hängebrücke gehen. Und schon damit hatten sie Schwierigkeiten. Warum?
Nachdem im Juni 2000 die Millennium Bridge mit großem Trara eröffnet worden war, strömten die Besucher über die neue Fußgängerbrücke. Die begann so heftig zu schwingen, dass sie wieder geschlossen werden musste. "Wir kennen das Phänomen der Resonanz", erläutert Sonar. "Belastet man eine Brücke mit einer periodisch auftretenden Kraft einer bestimmten Frequenz und trifft damit die Resonanzfrequenz der Brücke, werden die Schwingungen intensiviert. Es kann zur Katastrophe kommen: Die Brücke stürzt ein."
Im Fall der Millennium Bridge wollten die Passanten die Schwingungen durch ihren Gang ausgleichen. "Mehrere hundert Menschen versuchten gleichzeitig, in periodischen Fußbewegungen die Schwingungen zu kompensieren, und verstärkten sie damit." Die Dämpfung der Brücke, so stellte sich heraus, war zu klein ausgelegt. Sie wurde schließlich mit 37 horizontal und 52 vertikal wirkenden Dämpfern nachgerüstet. Und die Moral von der Geschicht`? Ohne Mathematik ist alles nichts!
(gef)
Fakten
Als die Millenium Bridge ins Schwingen geriet
In London führen einige Brücken über die Themse, unter ihnen die Tower Bridge aus dem Jahr 1894. Ende des 20ten Jahrhunderts planten die Londoner, die Stadtteile Southwark und City mit einer neuen Fußgängerbrücke zu verbinden, die zwischen der Southwark Bridge und der Blackfriars Bridge liegen sollte. 1996 begann die Ausschreibung des Projekts mit einem Architektenwettbewerb. Am 10. Juni 2000 wurde die Millennium Bridge der Öffentlichkeit übergeben. Besucherströme ergossen sich in den Tagen nach der Eröffnung über die Hängebrücke - mit unvorhergesehenen Folgen. Die Brücke begann so heftig zu schwingen, dass sie bereits zwei Tage nach der Inbetriebnahme geschlossen werden musste. Was war passiert?
"Brückenbauer kennen seit vielen Jahrzehnten das Phänomen der Resonanz", erklärt Prof. Dr. Thomas Sonar vom Institut Computational Mathematics der Technischen Universität (TU) Braunschweig. "Belastet man eine Brücke mit einer periodisch auftretenden Kraft einer bestimmten Frequenz und trifft damit die Resonanzfrequenz der Brücke, werden die Schwingungen verstärkt und es kann zur Resonanzkatastrophe kommen: Die Brücke stürzt ein."
Bekanntes Beispiel ist die nordamerikanische Tacoma Narrows Bridge, eine sehr lange Hängebrücke, die am 7. November 1940 in Schwingungen geriet und schließlich einstürzte. "Ein Hobbyfilmer hat diese Resonanzkatastrophe auf einem Schmalspurfilm festgehalten", erinnert sich der TU-Professor. "Bei den Untersuchungen der Katastrophe stellte man fest, dass ein scharfer Querwind geweht und sich hinter der Brücke ein periodisches System von Wirbeln gebildet hatte, die genau in der Resonanzfrequenz der Brücke schwangen."
Im Fall der Millennium Bridge, die vom Volksmund schnell den Namen Wobbly Bridge ("Wackelbrücke") erhielt, seien leichte Schwingungen aufgetreten. Daraufhin hätten die Menschen auf der Brücke versucht, diese Schwingungen durch ihren Gang auszugleichen. Sonar: "Mehrere hundert Menschen versuchten gleichzeitig, in periodischen Fußbewegungen die Schwingungen zu kompensieren, und verstärkten sie damit." Man kennt dieses Phänomen vom Militär: Kompanien dürfen nie im Gleichschritt über eine Brücke marschieren, da sonst Resonanz auftreten kann.
Die Verantwortlichen in London hätten schnell versucht, die Schuld am Versagen der Brücke auf die hohe Anzahl an Menschen und deren "Fehlverhalten" zu schieben, erläutert der Mathematiker. "Aber der Grund ist in einer eklatanten Missachtung einfacher mathematischer Prinzipien zu sehen. Schon ein einfaches eindimensionales Modell der Brücke zeigt, dass die Dämpfung viel zu klein ausgelegt war." Solche Modelle, so Sonar, könne man heute in ganz simplen Lehrbüchern finden. Jeder Studierende der Mathematik und des Ingenieurwesens sollte spätestens im dritten Semester des Studiums beurteilen können, ob ausreichend Dämpfung im System vorhanden sei.
"An ausreichende Dämpfung war bei der Millennium Bridge offenbar nicht gedacht worden", resümiert der TU-Professor. "Die Brücke wurde schließlich mit 37 horizontal und 52 vertikal wirkenden Dämpfern nachgerüstet und ist nun so weit gedämpft, dass viele Menschen sie gleichzeitig überqueren können."
Das Beispiel der Millennium Bridge beweise zudem wieder einmal, wie wichtig die Mathematik in der Ausbildung angehender Ingenieure sei, betont Sonar. "Wer meint, später im Beruf werden es die Computerprogramme schon richten, liegt falsch. Ohne Mathematik ist alles nichts." (gef)
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