Welttournee mit den Bee Gees

Die Kaffeefahrt nach Kassel wird Kurt Simpelwitz aus Broitzem so schnell nicht vergessen. Erst das eingängige Dosenmenü, dann eine schräge Präsentation namens Documenta, später die handsignierte Heizdecke eines chinesischen Markenkünstlers. Und schließlich spielte der Busfahrer den ganzen Rückweg über im Radio Kuschelrock á la Bee Gees.
Dabei hätte unser Broitzemer das alles einfacher haben können. Ein Blick in den diesjährigen Rundgang der Hochschule für Bildende Künste (HBK), wenige Autominuten von seinem Reihenhaus entfernt, hätte ein Wiedersehen und -hören mit den Bee Gees gebracht. Das Team 404, vor etwa zehn Jahren aus der HBK-Klasse von John Armleder gegründet, lud weltweit Künstler ein, sich am Projekt CVsBGs zu beteiligen. Einzusenden waren Lebenslauf (CV), Passfoto und Langspielplatten eigener Wahl, die in einer Installation Marke Musikladen mit Bee Gees-LPs die Hüllen tauschten.
Wie in früheren Produktionen, die durch Europa und Asien tourten, durchleuchtet Team 404 auch diesmal Seh- und Hörgewohnheiten, erzeugt Interferenzen, die entstehen, wenn z. B. die individuelle Autorschaft an einem Kunstwerk auf andere übertragen wird. Ein Verfahren, welches Simpelwitz in seinem inzwischen gereiften ästhetischen Urteil sicher zu würdigen wüsste: "Das kann ich auch!" (rei)

Lebensläufe auf dem Plattenteller

Manchmal muss man die Fernbrille aufsetzen, um in seiner gewohnten, unmittelbaren Umgebung scharf zu sehen. Dass man in einer eher kleinen Großstadt wie Braunschweig derartige Sehhilfen dennoch nicht lange suchen muss, ist den hier Ansässigen meist nicht klar. Schon traditionell beherbergt die Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (HBK) in ihren Ateliers und Hörsälen Künstler und Wissenschaftler von internationalem Rang, was eher im Ausland zur Kenntnis genommen wird als in der Stadt selbst. Wie sehr diese Qualität die Studierenden inspiriert, lässt sich alljährlich beim so genannten Rundgang der HBK feststellen, wo Arbeiten aus so verschiedenen Bereichen wie Design, Film, Performance, Freie Kunst und Druckgraphik präsentiert werden. Dass es gelingt, auch die internationale Kunstszene an die Hochschule zu binden, zeigt beispielhaft die Klasse John Armleder und das aus ihr vor etwa zehn Jahren gegründete Team 404, dem inzwischen zahlreiche Künstler aus aller Welt angehören. Die Mitglieder sind lose assoziiert und finden sich zu gemeinsamen Produktionen zusammen, die bisher in Europa, Asien und den USA auf Tour gingen. Das aktuelle Projekt mit den Namen CVsBGs wurde eigens für den diesjährigen Rundgang der HBK konzipiert. Die Künstler, auch Nichtmitglieder des Teams, waren eingeladen, Passfoto, Lebenslauf (CV =Curriculum vitae) und eine Langspielplatte eigener Wahl einzusenden, mit dem Ziel, Foto und CV jeweils auf die eingesandte Platte bzw. deren Innenhülle zu kleben, wonach das Original-Cover dem einer Bee Gees-LP Platz macht. "Im Ausstellungsraum wird eine an Musik-Läden erinnernde Installation erschaffen zusammen mit den eingesandten LPs an der Wand", heißt es in der Projektbeschreibung, "die große Anzahl an Bee Gees-Platten, welche Team 404 für dieses Projekt bereithält, wird versteckt in den Plattenhüllen der eingesandten LPs sein und in einem Objekt liegen, welches sich in der Mitte des Raumes befindet." Was zunächst verwirrend und beliebig klingt, gründet sich wie auch die anderen Produktionen Armleders und seines Teams auf eine künstlerische und kunsttheoretische Auseinandersetzung mit Kultur in einer rasend gewordenen Globalisierung, die in Gefahr ist, ihre Ursprünge zu verlieren und zur B-Seite einer Schallplattenversion zu verkümmern. Leitmotiv dieser Auseinandersetzung ist das Aufsuchen von Schnittstellen zwischen Kunst und Dienstleistung, zwischen Pop und Hochkultur, ist die Gegenüberstellung alltäglicher Warenästhetik mit Assoziationen der Kunstgeschichte. Dass durch bewussten Verzicht auf Originalität und Authentizität in den Werken gelegentlich der Eindruck des rein Dekorativen entsteht, erscheint in diesem Zusammenhang nur konsequent. (rei)