Spinne oder Ameise?
Virtual Spider -
heißt die an der FH Braunschweig/Wolfenbüttel entwickelte virtuelle Leitzentrale, die Transportgüter vom Hersteller bis ins Lagerregal des Verkäufers dirigiert.
Glosse
Charles Darwin haben die Tierchen fast in den Wahnsinn getrieben. Kämpfen Ameisen doch keinen egoistischen Kampf ums Überleben, wie seine Theorie erwartet, sondern arbeiten Seite an Seite, um ihre kleinen Geschwister satt zu bekommen. Aber nicht nur Biologen, auch Logistikern geben die Krabbler Nüsse zu knacken: So wie Ameisen selbstständig ihren Weg zu den Futterplätzen finden, meinen die einen, müsste auch jeder Behälter, Gabelstapler und LKW am besten autonom zum Ziel gelangen.
Siegfried Jetzke, Physiker an der Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel, erhebt Einspruch: Anders als die Ameisen, meint er, konkurrieren die Transportgüter um knappe Ressourcen. Wenn nur ein Platz auf dem Schiff frei ist, muss entweder der Nissan oder der Honda im Hafen bleiben. Jetzke hält es mit einem anderen Krabbeltier. "Virtual spider", virtuelle Spinne, heißt die von ihm konstruierte Leitzentrale, die alle Fäden in der Hand hält. Mit GPS wird die Fahrt der LKW überwacht. Kameras lesen ab, welche Behälter im Lager eintreffen. Die Wege der Gabelstapler und die Position der Behälter im Lager koordiniert ein "indoor positioning system". Ständig vergleicht die virtuelle Spinne die von ihr vorhergesagten und die tatsächlich beobachteten Daten und lernt so dazu.
Irgendwann, meint Jetzke, kommen zwar auch die Ameisen zum Ziel. "Aber wie viele Generationen gehen dahin, bis sie das beste System gefunden haben?" Das wünscht man doch weder den Staplerfahrern noch den ungeduldigen Kunden.
(abe)
Fakten
Der beste Weg zwischen Leerlauf und Gedrängel
Es ist ein Dilemma: Wenn alle LKW sich gleichzeitig an den Entladestellen drängeln, gibt es Wartezeiten, für die die Spediteure mit Standgeld entschädigt werden müssen. Aber kommen die LKW schön verteilt über den Tag, dann herrscht zwischendurch Leerlauf an den Entladestellen. Wie man das Problem am besten in den Griff bekommt, kann man nur ausprobieren: Versuch, Irrtum, neuer Versuch. Das überlässt man besser einem Computerprogramm, gefüttert mit mathematischen Gleichungen und den Erfahrungen gewiefter Vorarbeiter. Denn ein Mensch könnte nie alle Faktoren überblicken, die in so einer Situation eine Rolle spielen. Trotzdem, meint Siegfried Jetzke, theoretischer Physiker und Logistik-Professor an der Fachhhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel: Eine solche Optimierung wird nicht die beste Lösung finden, aber doch immer eine etwas bessere als die bisherige. Auch sie erfasst nur einen Bruchteil der Möglichkeiten.
Mithilfe von solchen Daten behält die von Jetzke entwickelte "virtual spider" (virtuelle Spinne) den Überblick. Wie eine Spinne im Netz dirigiert diese Leitzentrale den Weg von Transportgütern - vom Hersteller bis ins Lagerregal des Verkäufers. GPS ortet die LKW. Kameras lesen die Etiketten von im Lager eintreffenden Behältern. Ein "indoor positioning system" weist den Gabelstaplerfahrern den Weg zum optimalen Lagerplatz. Auch Prognosen darüber, wie sich der Lagerbestand bei schwankender Nachfrage und unregelmäßig eintreffendem Nachschub entwickeln wird, liefert die Leitzentrale. Die Spinne ist lernfähig: Sie vergleicht ständig die von ihr vorhergesagten und die tatsächlich beobachteten Daten und verbessert sich selbst.
Profitieren werden vor allem die Kunden, die schneller und zuverlässiger ihre Ware bekommen. Doch Jetzke sieht noch mehr Vorteile: "Eine geringere Umweltbelastung und niedrigere Kosten als bisher: Statt einer fetten, eierlegende Wollmilchsau nur eine kleine virtuelle Spinne." (abe)
Kontaktinformationen
Name: | Prof. Dr. Siegfried Jetzke |
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Institution: | Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel, Fakultät Verkehr-Sport-Tourismus-Medien, Karl-Scharfenberg-Fakultät |
Adresse: |
Karl-Scharfenberg-Straße 55-57
38229 Salzgitter |
Telefon: | 05341/875-260 |
Fax: | 05341/875-202 |
WWW: | http://www.fh-wolfenbuettel.de |
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