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Und täglich grüßt die Wissenschaft
13.09.2007

Planetenberechnung per Zahnrad

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Mechanismus von Antikythera
ist die erste mechanische Rechenmaschine der Welt. Er berechnete nicht nur die Bahnen von Sonne und Mond, sondern auch die der fünf Planeten, die den Griechen in der Antike bekannt waren: Venus, Mars, Jupiter, Saturn und Merkur.

Glosse

Wären die Ozeane überdimensionierte Badewannen, dann würden ungeduldige Schatzsucher wohl gerne mal den Stöpsel ziehen. Ein Spaziergang auf dem Meeresgrund durch sagenumwobene versunkene Orte mit verloren geglaubten Schätzen - das hätte schon was. Aber auch tauchend lüftet man stückweise die Geheimnisse in den Tiefen des Meeres und kommt dabei der Vergangenheit immer näher. Denn einer Zeitkapsel gleich zeugen Schiffsladungen von jener Epoche, in der sie versanken. So verrät der "Mechanismus von Antikythera", ein bereits 1900 aus einem Schiffswrack geborgenes Artefakt aus Zahnrädern, Spektakuläres über den technischen Entwicklungsstand um 80 v. Chr. Neueste Forschungen scheinen zu bestätigen, dass diese älteste mechanische Rechenmaschine der Welt bereits einem heliozentrischen Weltbild folgte und Planetenbahnen mit einer Art Differenzialgetriebe berechnete, dessen Technik erst 2000 Jahre später nochmals entwickelt werden sollte - kulturgeschichtliche Sensationen, die auch Gerd Biegel, Direktor des Landesmuseums in Braunschweig, im Zuge seiner langjährigen Forschung zur Technikgeschichte zu einem Vortrag inspirierten. Wie viele "Computer der alten Griechen" mögen noch in maritimen Tiefen ruhen? Beim nächsten Ausflug auf den Meeresgrund mal auf verkrustete Zahnräder achten.

Der Vortrag zum "Mechanismus von Antikythera" findet heute um 19:00 Uhr im Landesmuseum statt. (mba)



Fakten

Um das Jahr 1900 machten Taucher vor der kleinen griechischen Insel Antikythera nahe Kreta in einem Schiffswrack einen bemerkenswerten Fund aus antiken Amphoren, Statuen, Münzen und einer Holzschachtel mit Klumpen aus korrodierter Bronze, der daraufhin ins griechische Nationalmuseum in Athen kam. Zwei Jahre später entdeckte dort der Archäologe Spyridon Stais in dem Klumpen ein Zifferblatt. Freigelegt, entpuppte es sich als ein antikes, uhrwerkähnliches Artefakt aus Zahnrädern, das seither Forscher aus aller Welt in seinen Bann zog und zu vielfältigen Phantasien anregte.
Aber erst in den 60er Jahren gelang es dem Wissenschaftshistoriker Derek de Solla Price von der amerikanischen Universität Yale nach einem Jahrzehnt Kleinarbeit, die vollständige Apparatur zu rekonstruieren.
Bei einer erneuten wissenschaftlichen Untersuchung des Mechanismus (Antikythera Mechanism Research Project) im Jahr 2005 konnten Forscher bisherige Hypothesen bestätigen, indem sie mit Röntgentechnik, Computertomografie und Scannern kleinste Details der nur noch in wenigen Teilen erhaltenen Technik analysierten. Gesichert wurden beispielsweise Annahmen, dass es sich bei dem Räderwerk um die erste mechanische Rechenmaschine der Welt handelt. Der Mechanismus von Antikythera berechnete nicht nur die Bahnen von Sonne und Mond an, sondern auch die der fünf Planeten, die den Griechen in der Antike bekannt waren: Venus, Mars, Jupiter, Saturn und Merkur.
Offenbar funktioniert die antike Apparatur bei der Bestimmung der Bahnen von Sonne und Planeten wie ein komplexer mechanischer Computer. Sie soll mit einem Differenzialgetriebe versehen gewesen sein, einem Mechanismus, der zu den schwierigsten mechanischen Konstruktionen zählt. Erst knapp 2000 Jahre später kam ein solches Prinzip wieder zum Tragen: 1832, als in England ein Differenzialgetriebe zum Patent angemeldet wurde.
Den Forschern gelang es außerdem, auf den Zahnrädern eingeritzte Inschriften lesbar zu machen, die vielfach als Gebrauchsanleitung interpretiert werden. Auch die Datierung auf 80 Jahre v. Chr. ist inzwischen durch gefundene Münzen und Inschriften gesichert.
In Anbindung an seine langjährigen Forschungsarbeiten zur Technikgeschichte und an die museumseigene Sammlung historischer Rechengeräte und -maschinen hält Gerd Biegel, Direktor des Landesmuseums und Honorarprofessor an der Carl-Friedrich-Gauß-Fakultät der Technischen Universität Braunschweig, am 13. September einen Vortrag über den Mechanismus von Antikythera und seine kulturhistorische Bedeutung.
Denn nicht nur die Tatsache, dass vorchristliches Wissen um Mechanik anscheinend über Jahrhunderte hinweg verloren ging, gibt Rätsel auf. Auch, dass der Mechanismus von Antikythera möglicherweise bereits auf einem heliozentrischen Weltbild basierte, könnte die bisherige Forschung zum Umdenken über das Wissen der alten Griechen anregen. Als "kulturgeschichtlich sensationell" sieht auch Gerd Biegel den derart frühen technischen Beleg eines heliozentrischen Weltbildes an. Bis dato gab es Hinweise auf antike Vermutungen, die Erde würde um die Sonne kreisen, nur bei Aristarch, der in der Antike allerdings als Phantast galt.
"Ich bin davon überzeugt, dass der Mechanismus im Wesentlichen für die Nautik benutzt wurde", sagt Biegel. "Und dass es nicht das einzige Gerät war." So darf man gespannt sein, was sich in Zukunft noch auf den Meeresgründen finden wird. (mba)



Kontaktinformationen

Name: Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel
Institution: Landesmusem Braunschweig
Adresse: Burgplatz 1
38100 Braunschweig
Telefon: 0531/1215-2602
WWW: http://www.landesmuseum-bs.de
E-Mail:
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