Kaum schwarze Schafe im weißen Kittel
95 Prozent
der Diagnosen in den Abrechnungsdaten niedersächsischer Ärzte sind aktuell, fand Christoph Trautner von der Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel heraus.
Glosse
Als wir den Ort nicht auf der Karte fanden, phantasierten wir von einem unentdeckten Fischerdorf. Dann sahen wir die Wahrheit: Der Ort war noch nicht da. Um das Hotel nur Bauland. Am Horizont die Bagger. Das war auf absehbare Zeit meine letzte Pauschalreise. Von wegen, pauschal macht alles entspannter. Die Gesundheitsreform zum Beispiel sieht vor, ab 2009 ein pauschales Abrechnungssystem für Arztpraxen einzuführen. Für jeden Schnupfen und jede Fettleber gibt es dann das gleiche Honorar. Egal, auf welche Weise der Arzt sie behandelt - wer die kränkeren Patienten hat, kriegt mehr Geld. Böse Zungen behaupten, das wecke kriminelle Energien. Hat der Doktor die Halsschmerzen, die den Patienten zu Weihnachten plagten, im Juli immer noch im Computer stehen, dann klingelt die Kasse non stop. Christoph Trautner vom Fachbereich Gesundheitswesen an der Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel gibt Entwarnung: In seiner Studie hat er die Abrechnungsdaten aller Arztpraxen in Niedersachsen ausgewertet. Nur rund fünf Prozent der akuten Diagnosen wurden über mehr als zwei Quartale mitgeschleppt. 24 schwarze Schafe haben zusammen 20 Prozent der Dauerschnupfen-Diagnosen auf dem Kerbholz. Halten wir ihnen mal Schludrigkeit zu Gute. Doch die breite Mehrheit beschreibt, was ist. Was sie von einem gewissen Schnäppchenreise-Verkäufer unterscheidet. (abe)
Fakten
Neun Monate Dauerschnupfen?
"Morbiditätsorientierte Regelleistungsvolumina" heißt das Abrechnungsmodell der Zukunft: Ab 2009 sollen die Ärzte nicht mehr einzelne Leistungen mit den Kassen abrechnen, sondern nach Pauschalen für die Krankheiten bezahlt werden, die sie diagnostizieren. "Wer die kränkeren Patienten hat, bekommt mehr Geld", bringt es Christoph Trautner, Mediziner am Fachbereich Gesundheitswesen der Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel, auf den Punkt. Oft ist gegen dieses System eingewandt worden, dass die Diagnosen der Ärzte nicht verlässlich seien. Mit ihrer Praxissoftware, so der Vorwurf, würden die Ärzte Diagnosen fortschreiben, die längst nicht mehr vorhanden seien. Christoph Trautner hat diesen Vorwurf mit seiner Studie im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung widerlegt. Er wertete die Abrechnungsdaten aller Vertragsärzte in Niedersachsen aus. Dabei untersuchte er, ob die gleichen Diagnosen von Quartal zu Quartal wieder auftauchten. Es ist zu erwarten, dass akute Krankheiten wie Schnupfen oder Durchfall spätestens im dritten Quartal ausgeheilt sind.
Trautners Fazit: Nur rund fünf Prozent der akuten Diagnosen wurden über mehr als zwei Quartale mitgeführt - sei es aus Schlamperei oder um unberechtigterweise zu kassieren. Die große Mehrheit der Ärzte aber gab keinen Anlass zum Misstrauen. Jedoch sollten im neuen Abrechnungssystem Maßnahmen gegen schwarze Schafe ergriffen werden, schlussfolgert Trautner: Die Software sollte das versehentliche Mitschleppen alter Diagnosen erschweren und die Abrechnungen in Stichproben kontrolliert werden. "Auf mehr Plausibilitätskontrollen wird es in den Praxen auch nicht mehr ankommen", ist Trautner überzeugt. (abe)
Kontaktinformationen
Name: | Prof. Dr. Christoph Trautner |
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Institution: | Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel, Fachbereich Gesundheitswesen |
Adresse: |
Wielandstraße 1-5
38440 Wolfsburg |
Fax: | 030/484981109 |
WWW: | http://www.fh-wolfenbuettel.de/ |
E-Mail: |