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Und täglich grüßt die Wissenschaft
12.10.2007

Kein Quartier für Kunstbewohner

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Löcher
in Kunstwerken bieten ein sicheres Indiz für ehemalige oder noch tätige nagende Holzbewohner. Mit viel Feinarbeit können Restaurationswerkstätten in Museen die Holzwurmtätigkeiten wieder unsichtbar machen.

Glosse

Wenn's kribbelt und krabbelt im Gebälk und Löcher im Holz sich mehren, ist anobium punctatum am Werk. Gern verstecken sich die knabberfreudigen Tierchen in wohlig warmem und etwas feuchtem Ambiente. Die kunstliebenden Feinschmecker unter ihnen nagen sich vorzugsweise durch Ölgemälde und prunkvolle Rahmen auf Dachböden. Und sind sie erst einmal auf den Geschmack gekommen, können sie über Generationen hinweg mit ihren Larven namens Holzwurm kreativ ganz eigene Musterideen im Kunstwerk realisieren. Der eine oder andere mag das Schweizer-Käse-Muster der Holzraspler ehren, der restauratorische Blick hingegen hat meist eine Kammerjägerei der besonderen Art zur Folge. Als beispielsweise das Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig vor zwei Jahren das Porträt des Herzogs Ludwig Rudolph aus dem 18. Jahrhundert aus dem Welfenschatz der Marienburg in seinen Besitz brachte, wurde solches Käferwerk sofort moniert. Das holzwurmfreie Museum schloss das Bild erst einmal vier Wochen lang in einen Container, um es mit Stickstoff auszuräuchern. Danach gingen die Restauratorinnen daran, die Fehlstellen in monatelanger Feinarbeit zu stopfen, zu kitten, zu kleben und zu retuschieren, damit der weißgelockte Herzog nun wieder in alter Pracht von seinem Bild herabblicken kann. Dem Käfertier sei ans Herz gelegt: Museen bieten kein Quartier für kaufreudige Kunstbewohner. (mba)



Fakten

Hinter den Kulissen der Ausstellungssäle im Kunstmuseum stößt man in Restaurierungswerkstätten nicht nur auf womöglich noch nie gesehene Gemälde, sondern auch auf das erstaunliche Themen- und Forschungsspektrum des Restaurators selbst. Neben unabdinglichem kunsthistorischem Wissen und handwerklich-künstlerischem Geschick bringt er auch vertiefte Kenntnisse über Materialien, chemische Prozesse und naturwissenschaftlich-technische Analysemöglichkeiten mit. Manches Mal ist bei Gutachtertätigkeiten aber auch Einsicht in das Nist- und Nageverhalten von Holzwurm und Co. und in deren Bekämpfung gefragt. Ein besonders prägnantes Beispiel im Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig war der Ankauf des Porträts des Herzogs Ludwig Rudolph (1731-1735), gemalt von Johann Conrad Eichler, ein Teil der Welfenschätze aus der Marienburg, die 2005 bei einer Auktion unter den Hammer kamen. Bereits der erste Blick auf das Gemälde ließ auf unsachgemäße Lagerung schließen: "Das Porträt war voll von Spinnweben, Staub und Dreck und hing mehr oder weniger an drei Nägeln in seinem Rahmen", erzählt Restauratorin Verena Herwig. "Die Leinwand war spröde, oxidiert und hatte großflächige Bereiche lockerer und aufstehender Malschichten und viele Fehlstellen." Das geübte Restauratorinnenauge wusste sofort: Hier hatte man es unter anderem mit den Ausflugschneisen von Nagekäfern (anobium punctatum) zu tun. In wohlig warmer und etwas feuchter Umgebung - alles, was Museen natürlich vermeiden - legt das knabberfreudige Tierchen seine Eier gern im Holz ab und frisst sich als Larve namens Holzwurm gründlich durch die Schichten. Ist es geschlechtsreif, nagt es sich ans Licht durch, fliegt paarungswillig raus in die Welt, um dann sehr ortstreu seine Eier wieder in den bereits vorhandenen Löchern abzulegen. Geschieht das über Generationen hinweg, sieht das Gemälde wie ein Schweizer Käse aus. "An unzähligen Stellen konnte man durch die Leinwand hindurchsehen, an einigen Stellen ,nur' bis auf die Grundierung", beschreibt Herwig. Und natürlich machen die Käfer auch vor Zierrahmen nicht Halt.
Um das neu erworbene Porträt von den kaufreudigen Kunstbewohnern zu befreien und ihnen womöglich in der eigenen Werkstatt nicht noch weitere Behausungen zu liefern, kam es zunächst in eine eigens für solche Zwecke entwickelte Stickstoffkammer im Celler Bomann-Museum. Dort wurde es vier Wochen lang mit Stickstoff begast. "Indem bei konstanter Luftfeuchtigkeit und Temperatur der Luft der restliche Sauerstoffgehalt entzogen wird, wird den Schädlingen auch die Lebensgrundlage entzogen. Alle Entwicklungsstadien von Ei über Larve und Käfer werden abgetötet", erklärt die auch als Kammerjägerin begabte Restauratorin. Denn unter für sie idealen Bedingungen können Larven es sich bis zu acht Jahre im Holz gemütlich machen. Aber auch dann hatte man's noch mit Relikten vormaliger Bewohner zu tun. Ihr Ausscheidungsprodukt, das Fraßmehl, musste beseitigt werden. Und als man schließlich sämtliche Bildoberflächen nach Lockerungen untersuchte, kamen unzählige Gewitterfliegen unter den losen Farbschollen zutage. Bei einer Quote von etwa vier Gewittertierchen auf drei Quadratmillimetern ist leicht vorstellbar, wie lange es dauerte, sie alle vorsichtig mit einer Pinzette unter den Schollen hervorzuziehen, um diese später wieder ankleben zu können. Danach erst begann die eigentliche Konservierung des vorhandenen Bestandes. In monatelanger präziser Feinarbeit festigten die Restauratorinnen Shijori Kudo und Hildegard Kaul unter dem Mikroskop jede Scholle, jede Farbpartie einzeln mit Pinsel und Störleim. Aufgrund der schlechten klimatischen Lagerungsverhältnisse auf der Marienburg hatte man dabei mit einem weiteren Problem zu kämpfen: Die Leinwand war oxidiert und geschrumpft, so dass die Farbschollen in einigen Partien Platzprobleme bekamen und nicht mehr exakt passten. Doch die langwierige restauratorische Geduldsarbeit hat sich gelohnt. Gefestigt, isoliert, gekittet, strukturiert und retuschiert, glänzt das Bildnis des Herzogs wieder in nahezu alter Pracht. "Durch die klimatischen Bedingungen und die Alterung begann der Firnis zu vergilben und zu reißen. Wie bei einer gesprungenen Glasscheibe verliert er dann an Transparenz, so dass man nicht mehr vollständig hindurchgucken kann", erläutert Herwig. "Der Kenner sieht schon, dass das Gemälde nicht in einem perfekten Zustand ist." Für das Laienauge sind die Spuren der ehemaligen Zerstörung nun aber größtenteils unsichtbar. Vielleicht sieht man den in Öl gemalten Herzog, der majestätisch mit Kommandostab und "Mohr" vor einem Schlachtfeld posiert, aber in ganz neuem Licht, wenn man über seine jahrzehntelange Gastfreundschaft für so viele Untermieter Bescheid weiß. Bis vor kurzem noch Teil der Ausstellung über die Welfenschätze, ist das Porträt jetzt in die ständige Sammlung des Herzog Anton Ulrich-Museums integriert. (mba)



Kontaktinformationen

Name: Verena Herwig
Institution: Herzog Anton Ulrich-Museum
Adresse: Museumstraße 1
38100 Braunschweig
Telefon: 0531/1225-2415
WWW: http://www.museum-braunschweig.de/
E-Mail:
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