Science oder Fiction?
Präimplantationsdiagnostik
ist Thema des Science-Fiction-Films "Gattaca", der im Rahmen des Filmfests Braunschweig ethisch-philosophisch diskutiert wird.
Glosse
Immer vorsichtig mit den Wimpern klimpern. Ein Wimpernschlag kann gefährlich sein. Ein kleines Augenhärchen könnte sich lösen und die eigene Identität preisgeben ... in einer Welt, die der Science-Fiction-Film "Gattaca" beschreibt, einer Welt, in der nur gentechnisch perfektionierte Menschen Zugang zu Karriere haben. Der natürlich gezeugte, kurzsichtige Jerome möchte Astronaut werden und nimmt deshalb die Identität eines unfallgeschädigten Freundes mit perfekten Genen an. Eine Wimper ist's, die ihn beinahe enttarnt. Denn am Haar lässt sich die Qualität des Genmaterials problemlos ablesen. Alles nur Fiktion? Unter dem Titel "Science/Fiction" zeigt das diesjährige Filmfest Braunschweig mehrere Filme, die jeweils von Wissenschaftlern kommentiert werden. Den Auftakt bildet "Gattaca", der sich mit der Problematik von Präimplantationsdiagnostik zum Ziel der Optimierung menschlichen Lebens auseinandersetzt. Damit gehen zahlreiche ethische Fragestellungen einher, denen sich Wolfgang Buschlinger vom Seminar für Philosophie der Technischen Universität Braunschweig widmet. Gibt es Chancengleichheit? Welches Recht hat man auf die Verwirklichung des eigenen Lebenstraums? Ist die cineastisch gezeigte ethische Problematik nicht heute schon da? - Science und Fiction, in diesem Film vielleicht doch nur einen Wimpernschlag entfernt?
"Gattaca": Dienstag, 6.11., 11 Uhr, Kulturinstitut, Roter Saal
(mba)
Fakten
In der Reihe "Science/Fiction" zeigt das 21. Internationale Filmfest Braunschweig in der Zeit vom 6. bis 11. November mehrere Science-Fiction-Filme, in denen die Ergebnisse verschiedener Wissenschaften eine tragende Rolle spielen. Im Anschluss an die Vorstellungen diskutieren Fachwissenschaftler die Filme, die jeweilige Darstellung der Sachverhalte und deren wissenschaftliche Relevanz und Hintergründe.
Die cineastisch dargestellten ethischen Problemstellungen im Film "Gattaca" wird Wolfgang Buschlinger vom Seminar für Philosophie der Technischen Universität Braunschweig kommentieren. Zielgruppen sind sowohl Schulklassen als auch alle anderen Interessierten.
Eine negative Utopie der nahen Zukunft: Genmanipulation beim Menschen ist Normalität geworden. Perfekte Menschen, deren Gene pränatal optimiert wurden, bilden die Oberschicht in einer Welt, die sich hermetisch gegen die auf natürlichem Weg Gezeugten abgrenzt. Für den kränklichen und kurzsichtigen Vincent fallen schon im Kindergarten die Türen zu. Doch er hat einen Traum: Er möchte Astronaut werden. Er verschafft sich die Identität eines hochbegabten, aber querschnittgelähmten ehemaligen Sportlers und macht als "Jerome" beim Weltraumkonzern Gattaca Karriere. Doch durch einen Mordfall in der Firma, der zu intensiven Untersuchungen führt, steht Vincent bald kurz vor der Enttarnung.
"Das utopische Element des Films gestattet es, den Konflikt auf den Punkt zu bringen. Die ethische Problematik hat man aber schon jetzt. Das wird in den nächsten Jahren verschärft auf uns zukommen", sagt Buschlinger.
Ihm geht es in der ethisch-philosophischen Diskussion des Films sowohl um gesellschaftliche als auch um subjektive existentielle Entscheidungen. Generell problematisch sieht er das Ziel der Perfektionierung des menschlichen Erbguts. "Jeder Mensch hat unterschiedliches Erbgut. Sobald man das auf einer Ordinalskala misst und es damit in perfekt oder nicht perfekt einteilt, hat man den in ,Gattaca' gezeigten Konflikt überall."
Auf der anderen Seite sieht er das Problem der Chancengleichheit. Menschen sind nun einmal verschieden - inwieweit müssen sie ihr Schicksal annehmen, dadurch eventuell von manchen Möglichkeiten ausgeschlossen zu sein? Wo verlaufen die Grenzen zwischen dem, was gesellschaftlich als Mindestmaß an Chancengleichheit bestehen muss und eigenen Interessen oder Wünschen, denen man eventuell nicht entgegenkommen sollte? Was muss da gegeneinander abgewogen werden? Wer trifft diese Entscheidungen und auf welcher Grundlage?
Mit zunehmenden wissenschaftlichen Erkenntnissen vermehrt sich auch das Konfliktpotential. Prinzipielle Machbarkeit kann gravierende gesellschaftliche Konsequenzen haben. "Es ist wichtig darauf zu achten, wie eine Zunahme des Wissens auch Solidarpakte korrumpiert". Sobald pränatal darüber bestimmt wird, welche Gene zugelassen sind oder nicht, geraten Menschen, die sich anders entscheiden, unter Druck, und Menschen mit genetischen "Defekten" könnten dadurch zukünftig unter Umständen gesellschaftliche Unterstützung verlieren.
Aber reine Machbarkeit muss nicht zwangsläufig in Zustimmung münden. "Im Rahmen der Fakten ist meist alles möglich - wenn man sich nicht dagegen entscheidet", sagt Buschlinger. Eine solche Entscheidung ist ethischer Natur. "Anfänglich kann man in vielen Fällen noch wissenschaftlich für oder gegen etwas argumentieren. Ab einem bestimmten Punkt muss aber eine ethische Entscheidung fallen. Man muss eine Haltung einnehmen."
Kontaktinformationen
Name: | Dr. Wolfgang Buschlinger |
---|---|
Institution: | Technische Universität Braunschweig, Seminar für Philosophie |
Adresse: |
Bienroder Weg 80 38106 Braunschweig |
Telefon: | 0531/391-8626 |
WWW: | http://www.philosophie.tu-bs.de |
E-Mail: |