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Und täglich grüßt die Wissenschaft
05.12.2007

Mit Geduld und Spucke?

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Speichel
enthält unter anderem Enzyme und anorganische Salze. Deshalb setzte man ihn früher in Restaurierungswerkstätten auch zur Gemäldereinigung ein.

Glosse

"Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt": Ran an die Arbeit, heißt das wohl. "Mit Geduld und Spucke": Dauert etwas länger, aber was lange währt, wird gut. Im Deutschen scheint Spucke irgendwas mit Schaffensprozessen zu tun zu haben . Tatsächlich auch in der Kunst. Angeblich wurden alte Höhlenmalereien mit Zutat von Spucke auf die Wände katapultiert. Diese archaische Art der Malerei galt auch Picasso als Lösung in Zeiten der Verarmung. Keine Farbe, keine Bleistifte mehr? Dann "spucke ich mir auf den Finger und bemale die Wand." Restauratoren hingegen kennen auch die reinigende Wirkung dieser Flüssigkeit. Früher war sie ein durchaus gängiges Mittel zur Entfernung von Oberflächenschmutz auf Gemälden, da der Speichel aufgrund seiner Struktur die Verschmutzung umschließt, so dass sie sich leicht abtragen lässt. Auch die Annalen des Herzog Anton Ulrich-Museums in Braunschweig erzählen davon. Hier spuckt man aber nicht mehr selbst (und lässt auch nicht spucken), sondern verwendet im Bedarfsfall synthetische Ersatzprodukte. Und legt dem Laien ans Herz, nicht einfach auf sein Gemälde zu spucken. Denn Speichel kann je nach Alter, Hormonhaushalt und Ernährung die Bildoberflächen auch schädigen. Aber selbst bei entsprechender "Restauratoren-Diät" hätte das Verfahren bei großen Bildern wohl ausgedient - da bleibt einem glatt die Spucke weg. (mba)



Fakten

"Wenn ich mir keine Ölfarbe mehr leisten kann, kaufe ich Wasserfarben. Wenn für Wasserfarben kein Geld mehr da ist, besorge ich Bleistifte. Und wenn die Bleistifte ausgehen oder man mich ins Gefängnis steckt, spucke ich mir auf den Finger und bemale die Wand", sagte Picasso einst. Nicht nur Picassos Ausspruch bringt den menschlichen Speichel mit Gemälden in Verbindung. Da Speichel eine flüssige Substanz ist, die unter anderem Enzyme und anorganische Salze enthält, eignet er sich prinzipiell auch für die Reinigung der Oberflächen von Gemälden. Seine Komponenten fördern die Schmutzabtragung, da sie das Penetrationsvermögen erhöhen und aufgrund der Proteine eine ähnliche Wirkung wie Netzmittel besitzen. Er legt sich um die Schmutzpartikel herum, und diese lassen sich so leichter abtragen.

Also einfach aufs Gemälde spucken und dann alles mit einem Pinsel oder Wattebausch verteilen? Was noch in den 1960er Jahren vom Restaurator Helmut Ruhemann in seinem Buch "The Cleaning of Paintings" empfohlen wurde, wird heute in Restaurierungswerkstätten sehr viel differenzierter betrachtet. "Die Reinigung von Gemälden und die sich daraus ergebenden Folgen für die Oberflächen füllen eine Vielzahl von Dissertationen", sagt die Restauratorin Verena Herwig vom Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig. "Jede Oberfläche hat ihre eigenen Bedürfnisse." Um diese zu ermitteln, genügt der Augenschein, vor allem der von Laien, allein nicht. Nur mit mikroskopischen Untersuchungen von Firnis, Malschichten und Art der Verschmutzung lässt sich das richtige und im jeweiligen Fall schonende Reinigungsverfahren ermitteln.

"Dünne Öl- und Fettfilme spielen eine große Rolle beim Schmutz auf Gemälden. Hinzu kommen Feinstäube, die sich daran anlagern. Enzyme begünstigen dann die Schmutzabtragung", erklärt Herwig. "Statt des menschlichen Speichels gibt es heute aber hygienischere Methoden." Denn beim Reinigen mit menschlichem Speichel könnten nicht nur organische Rückstände bleiben, in den Befall von Mikroorganismen begünstigen können. Auch die chemische Zusammensetzung ist nicht konstant. Sie ist sowohl vom Alter und vom Hormonhaushalt des jeweiligen Menschen abhängig als auch von der Nahrungsaufnahme. Säure beispielsweise kann aggressiv die Malschichten zerstören. Und natürlich ist diese Substanz nur beschränkt verfügbar. Bei der Reinigung größerer Gemälde bliebe einem wohl einfach die Spucke weg.

Und so gibt es für die Reinigung von Oberflächen neben Tensiden auch synthetische Ersatzlösungen, die im Prinzip künstlicher Speichel sind. Die Bandbreite an Materialien ist so groß wie die Variation an zugrunde liegenden Materialien und Oberflächenstrukturen. Bei jeder Reinigungsmethode erfolgt in Restaurierungswerkstätten eine Nachreinigung mit einem neutralen Medium, um Firnis und Malschichten zu schonen. (mba)



Kontaktinformationen

Name: Verena Herwig
Institution: Herzog Anton Ulrich-Museum
Adresse: Museumstraße 1
38100 Braunschweig
Telefon: 0531/1225-2415
WWW: http://www.museum-braunschweig.de
E-Mail:
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