Fragen und Antworten
1. Warum bewerben sich Braunschweig und die Region um den Status Kulturhauptstadt Europas 2010?
2. Wie kann man die Region topografisch skizzieren?
3. Wie kann man die Region kulturell skizzieren?
4. Was bildet den Schwerpunkt der Bewerbungsphase in Braunschweig?
5. Spielen Forschung und Wissenschaft bei der Bewerbung eine Rolle?
6. Werden die Partnerstädte mit einbezogen?
7. Welche Leitlinien verfolgt das Bewerbungskonzept?
Wie kann man die Region kulturell skizzieren?
In der Summe der vorhandenen Einrichtungen und Kunstschätze haben Braunschweig und die Region ein Potenzial, das nicht nur unverwechselbar ist, sondern seinesgleichen sucht. Vorrangige Aufgabe ist es, die vielen Facetten der kulturellen Identität zwischen Tradition und Moderne, Hoch- und Populärkultur, in ihrem Zusammenwirken und in ihren Gegensätzen herauszuarbeiten und nachvollziehbar darzustellen. Über die lokalen Besonderheiten hinaus werden wir einen gemeinsamen kulturellen Raum definieren und ihn in einer regionalen „Kulturcharta“ verankern.

Die Kunstlandschaft reicht von der ersten öffentlichen Museumsgründung auf dem Europäischen Kontinent 1754, dem Kunst- und Naturalien-Kabinett und späteren Herzog Anton Ulrich-Museum, bis hin zum lichtdurchfluteten Hightech-Bau des Kunstmuseums Wolfsburg vom Hamburger Architekturbüro Schweger und Partner. Hochrangige Gemälde aus den Sammlungen der Welfenherzöge von Giorgione, Rubens, Rembrandt und Vermeer van Delft im Herzog Anton Ulrich–Museum stehen herausragenden Ausstellungen der Gegenwartskunst im Wolfsburger Kunstmuseum gegenüber. Der spektakulärste und jüngste Museumsneubau Deutschlands, das Science Center „Phaeno“ der irakischen Stararchitektin Zaha Hadid in Wolfsburg und das geplante Projekt „Museum des Wissens“ des Braunschweigischen Landesmuseums werden zeitgenössische Auseinandersetzung mit Natur, Technik und Kunst experimentell und auf höchstem Niveau bieten.
Museumsneubau „Phaeno“ (Foto: K. Ortmeyer)
Neben diesen internationalen Highlights ist die Region von zeitgenössischer Kultur geprägt: Das Museum für Photographie, singulär in Niedersachsen, zeugt vom Ruf Braunschweigs als ehemaligem Zentrum deutscher Fotoindustrie (Voigtländer und Rollei), viele Kunstvereine, Städtische Galerien und off-Spaces bieten Foren für das junge, internationale Kunstgeschehen. In den Städtischen, Kreis- und Landesmuseen sind Kultur und Geschichte auf kommunaler und regionaler Ebene verankert. Mit ihnen hat die Region bedeutende nationale und internationale Ausstrahlungskraft.

Und nicht zuletzt zeichnet sich die Region durch spektakuläre Projekte für Kunst im öffentlichen Raum aus: Der ersten freistehenden Außenplastik nördlich der Alpen, dem in Bronze gegossenen Löwen auf dem Braunschweiger Burgplatz, steht eines der gelungensten zeitgenössischen Projekte gegenüber: der Lichtparcours 2000, der zugleich braunschweigische Stadtgeschichte reflektierend, deutschlandweit touristischer Anziehungspunkt war und mit dem Braunschweig-Parcours im Jahr 2004 eine Fortsetzung erfährt. Kulturfestivals wie die Braunschweiger Kulturnacht, die Wolfsburger Internationale Sommerbühne oder das Gifhorner „Feuer und Wasser“, das Festival der Theaterformen, das Filmfest, das Tanztheater International, das Figurentheaterfestival und noch viele mehr ergänzen die dynamische kulturelle Landschaft mit Experiment und Avantgarde.
Lichtparcours 2000
Auch die Theater- und Schriftkultur Braunschweigs und der Region ist von herausragenden Ereignissen gekennzeichnet: 1592 wurde in Wolfenbüttel das erste stehende Theater Deutschlands gegründet. Das Staatstheater Braunschweig als renommiertes Vierspartenhaus blickt ebenfalls auf eine lange Tradition: Hier erregten die weltberühmten Uraufführungen von Lessings Emilia Galotti (1772) und Goethes Faust (1829) nachhaltig die Gemüter. Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781), bedeutender Dichter der Aufklärung, lebte von 1771 bis zu seinem Tod als Bibliothekar in Wolfenbüttel; er war der Mittelpunkt des Braunschweiger Dichter- und Gelehrtenkreises, der sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts um das Collegium Carolinum gebildet hatte. Seine Person und sein Werk sind bis heute von herausragender Bedeutung – modern im Sinne seiner biografischen Brüche und mit seinem 1779 vollendeten „Nathan der Weise“ und der Ringparabel von ungebrochener Aktualität. In Wolfenbüttel ist nicht nur die Wiege des Deutschen Theaters, sondern auch der Geburtsort der ersten regelmäßig publizierten Zeitung. 1609 gegründet, erfüllt die Wochenzeitung „Aviso“ erstmals alle typischen Merkmale, die eine moderne Zeitung auszeichnen: Aktualität, Periodizität, Universalität und Publizität.

Die unvergleichliche Sammlung an bibliophilen Kleinodien, Handschriften, alten Globen und Landkarten der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, 1572 als Privatbibliothek von Herzog Julius im Schloss gegründet, galt einst als größte Büchersammlung des Abendlandes und als „Achtes Weltwunder“. Heute ist sie eine moderne Forschungsbibliothek mit ca. 800.000 Bänden – eine Schatzkammer europäischer Geistesgeschichte zwischen Humanismus und Aufklärung.

In Braunschweig und Region hat auch die Musik einen hohen Stellenwert. Das Musikschaffen steht unter einem herausragenden Namen:
Louis Spohr (1784–1859), Komponist, Violinvirtuose, Dirigent und Violinpädagoge. In Braunschweig geboren, wurde er 1799 von Herzog Karl Wilhelm Ferdinand zum „Braunschweigischen Kammermusicus“ ernannt; er war einer der richtungweisenden Komponisten für Instrumentalmusik, Oper und Oratorium.
Die andere tonangebende Persönlichkeit ist Michael Praetorius (1571–1621), der ab 1594 als Kapellmeister in Wolfenbüttel bis zu seinem Lebensende das musikalische Hofleben gestaltete. Er hinterließ ein Werk von ungewöhnlichem Umfang, z.B. das neunbändige „Musae Sioniae“ mit über 1200 Gesängen. Bekannt sind heute vor allem seine geistlichen Lieder, darunter das berühmte „Es ist ein Ros entsprungen“. Ebenfalls musikalisch mit der Region verbunden ist der Dichter und Germanist August Heinrich Hoffmann (1798 – 1874), der sich nach seinem Geburtsort Fallersleben, einem Ortsteil Wolfsburgs, nannte. Viele seiner über 500 Lieder sind auch heute noch weithin bekannt, etwa „Ein Männlein steht im Walde“ oder das „Lied der Deutschen“, das 1841 zu einer Melodie von Joseph Haydns „Gott erhalte Franz den Kaiser“ entstand und am 11. August 1922 durch Reichspräsident Friedrich Ebert zur deutschen Nationalhymne erklärt wurde.

Das aktuelle Musikgeschehen Braunschweigs und der Region ist von vielen Facetten geprägt: Während des Braunschweig Classix Festivals treffen die renommiertesten Ensembles und Solisten der Welt zusammen, und es werden Kirchen, Festsäle und Plätze zu Konzertbühnen erhoben.
Braunschweig und die Region sind von einmaligen Zeugnissen europäischer Architekturgeschichte und des christlichen Glaubens geprägt: Der Reichtum Braunschweigs, bedingt durch Handel und Handwerk, fand seinen Ausdruck in über zwanzig Pfarr- und Stiftskirchen, Klöstern und Kapellen und in dem vielfältigen Schmuck, mit dem sie ausgestattet wurden. Die Burg Dankwarderode beherbergt eine einzigartige Kunstsammlung des Mittelalters mit kostbaren Reliquiaren. Der romanische Dom St. Blasius wurde als dreischiffige Pfeilerbasilika mit kreuzförmigem Grundriss zwischen 1173 und 1195 als machtvolles Baumassiv errichtet. Wolfenbüttels Hauptkirche, Beatae Mariae Virginis, von 1608 bis 1624 erbaut, gilt als erster protestantischer Kirchenbau nach der Reformation, in dem Gotik und Renaissance reizvoll verschmelzen. Und nicht zuletzt zeugt die Kaiserpfalz in Goslar von der Bedeutung der Region im Hochmittelalter als Sitz der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches in Norddeutschland.